28. Juni 2022

Birgit Knaus, Diakonieverband im Landkreis Böblingen

Immer wieder werden wir in der Schuldnerberatung damit konfrontiert, dass unsere Klient*innen Schulden beim Finanzamt haben. Wie ist mit diesen Schulden umzugehen? Welche Besonderheiten sind zu beachten? Mit diesem Artikel möchten wir etwas Licht ins Dunkel bringen.

1. Wie kommt es überhaupt zu diesen Steuerschulden?

Eine Ursache für Steuerschulden können Einnahmen sein, die nicht an der Quelle versteuert wurden.

Beispiele:

  • Bezieht jemand eine Erwerbsunfähigkeitsrente, arbeitet aber noch in Teilzeit (bspw. 3 Stunden täglich), so wird für die Teilzeittätigkeit vom Arbeitgeber Lohnsteuer abgeführt. Bei der Rente wird von der Rentenkasse aber nur Kranken- und Pflegeversicherung abgezogen. Denn: Renten werden nicht an der Quelle versteuert, jedoch bei der Einkommenssteuerberechnung einbezogen. Wird dann die Einkommensteuererklärung abgegeben, entsteht oft ein Nachzahlungsbetrag für das vergangene Jahr und gleichzeitig werden die künftig zu entrichtenden quartalsmäßigen Vorauszahlungen berechnet und fällig gestellt.
  • Krankengeld ist zwar selbst nicht steuerpflichtig, wirkt sich aber auf die Progressionsstufe aus, weil es zum Jahreseinkommen dazugezählt wird.
  • Bei geschiedenen Eheleuten kann es zu Problemen mit der Steuer kommen. Unterschreibt beispielsweise die unterhaltsempfangende geschiedene Ehefrau dem unterhaltsleistenden früheren Ehemann die sog. Anlage U, so verschiebt sich die Verpflichtung, den Unterhalt zu versteuern, auf sie selbst. Das ist sinnvoll, wenn die geschiedene Ehefrau eine deutlich niedrigere Progressionsstufe bei der Einkommenssteuer hat. Die daraus resultierende Einkommenssteuerforderung muss freilich bezahlt werden. Zwar hat die geschiedene Ehefrau einen Ausgleichsanspruch gegen ihren früheren Ehemann. In so manchem Rosenkrieg sorgt die Durchsetzung dieses Ausgleichsanspruchs aber für große Schwierigkeiten.
  • Eine weitere häufige Ursache für Steuerschulden unserer Klient*innen sind frühere Selbständigkeiten. In diesem Zusammenhang können neben Einkommensteuerschulden auch Umsatzsteuerschulden entstehen. Solche Steuerschulden schließen eine Verbraucherinsolvenz für ehemals Selbständige nicht aus! Wenn Arbeitnehmerforderungen oder mehr als 19 Gläubiger vorhanden sind, ist allerdings das Regelinsolvenzverfahren die richtige Verfahrensart.

2. Wie muss ich mit Steuerschulden im außergerichtlichen Einigungsversuch (AEV) umgehen?

Kann man mit dem Finanzamt überhaupt einen außergerichtlichen Vergleich schließen?
Ja, man kann. Allerdings können die Finanzämter nur unter bestimmten Voraussetzungen zustimmen. Welche Kriterien die Finanzämter dabei zu beachten haben, hat das Bundesministerium für Finanzen am 27.01.2021 festgelegt. Link zu den Kriterien. Die darin geforderten Unterlagen entsprechen im Prinzip Anlage 4, 5, 6 und 7 des Insolvenzantrages. Außerdem muss entsprechend der Erwerbsobliegenheit ein Nachweis über die Erwerbstätigkeit erbracht und es müssen verschiedene Erklärungen abgegeben werden, beispielsweise zur Herausgabe des hälftigen Erbes analog der Verpflichtung aus der Insolvenzordnung.

Das ist ganz schön aufwendig. Bei einem außergerichtlichen Einigungsversuch, der keine Aussicht auf Erfolg hat (z.B. flexibler Schuldenbereinigungsplan) könnte überlegt werden, inwieweit sich durch die Vorlage dieser Unterlagen eine Verbesserung des Ergebnisses erzielen lässt, oder nicht.

3. Steuerschulden im gerichtlichen Schuldenbereinigungsplanverfahren

Im gerichtlichen Plan sind Steuerschulden kein so großes Problem mehr, da hier die Kriterien des Bundesministeriums für Finanzen durch das erforderliche Ausfüllen des Insolvenzantrages weitgehend automatisch erfüllt werden. Es sind aber auch hier besondere Regelungen mit in den Plan aufzunehmen (Bspw. die Regelung zum Erbe oder zur Aufrechnung).

4. Steuerschulden im Insolvenzsolvenzverfahren

Grundsätzlich sind Steuerschulden insolvenzfähig, d.h. die Restschuldbefreiung gilt auch für die Steuerschulden.
Allerdings haben die Finanzämter die Möglichkeit, nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens bis zu Erteilung der Restschuldbefreiung mit Steuerrückerstattungsansprüchen aufzurechnen. Dies kann beispielsweise dann passieren, wenn ein*e ehemals Selbständige*r wieder als Angestellte*r arbeitet und durch hohe Fahrtkosten eine Steuerrückerstattung erhält. Man nennt diese Möglichkeit der Aufrechnung auch das „Fiskusprivileg“. Auf diese Aufrechnungsmöglichkeiten sollte man in der Beratung unbedingt hinweisen!

Stehen die Steuerschulden im Zusammenhang mit einer rechtskräftigen Verurteilung wegen Steuerhinterziehung, so sind diese Steuerschulden eine von der Restschuldbefreiung ausgenommene Forderung, wenn das Finanzamt diese Steuerschuld als solche anmeldet.
Beispiel: Herr Muster betreibt einen Schrotthandel. Da Buchführung nicht so seine Welt ist, verliert er einige Rechnungen und gibt seinem Steuerberater nur unvollständige Unterlagen. Der Steuerberater macht die Steuererklärung mit den vorhandenen Belegen. Bei einer Betriebsprüfung stellt sich heraus, dass Herr Muster dadurch 5.000 € zu wenig an Einkommensteuer bezahlt hat. Er wird deshalb wegen Steuerhinterziehung zu einer Geldstrafe von 3.000 € verurteilt.

Herr Muster hat nun das Problem, dass er nicht nur die Geldstrafe bezahlen muss, er muss auch die Steuerschulden von 5.000 € bezahlen, wenn das Finanzamt diese als ausgenommene Forderung anmeldet.

Deshalb sollte möglichst frühzeitig im Beratungsgespräch besprochen werden, wie es zu den Steuerschulden kam und ob es strafrechtliche Ermittlungen oder bereits eine strafrechtliche Verurteilung wegen Steuerhinterziehung gibt.

5. Pfändungsschutz bei Steuerschulden

Finanzämter können prinzipiell sehr schnell pfänden. Denn der Steuerbescheid mit der Nachzahlung ist bereits ein vollstreckbarer Titel und die Finanzämter können diesen selbst vollstrecken, in dem sie eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung erlassen.

Möchte man die Pfändung vermeiden, kann man einen Antrag auf Stundung (i.d.R. mit Ratenzahlung oder Sicherheitsleistung) und einen Antrag auf Vollstreckungsschutz stellen. Dafür gelten aber hohe Hürden.

Pfändet das Finanzamt das Girokonto, gilt auch bei dieser Pfändung der Schutz durch die Umwandlung in ein Pfändungsschutzkonto. Mit einer P-Konto-Bescheinigung über die Unterhaltsverpflichtungen und ggf. weiterer Beträge wie bestimmte Geldleistungen oder Nachzahlungen kann der Freibetrag auch bei einer Pfändung durch das Finanzamt erhöht werden.
Reicht der Pfändungsschutz durch die P-Konto-Umwandlung nicht aus (beispielsweise wenn das unpfändbare Einkommen höher liegt als der (ggf. bescheinigte) Freibetrags), so muss die Erhöhung des Pfändungsfreibetrags direkt bei der Vollstreckungsstelle des Finanzamts beantragt werden. Das Vollstreckungsgericht ist hier nicht zuständig!

6. Steuerschulden bei Ehegatten

Ehegatten haften für die Einkommenssteuer grundsätzlich als Gesamtschuldner*innen. Gehen die Steuerschulden nur auf eine*n der beiden Ehepartner*innen zurück, so kann die Beantragung einer Getrenntveranlagung sinnvoll sein. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn der Ehemann durch seine Selbständigkeit die Steuerschulden verursacht hat und die Ehefrau im Angestelltenverhältnis gearbeitet hat.

Insgesamt sind Steuerschulden in der Schuldnerberatung etwas arbeitsintensiver als andere Forderungen. Es sind einige Sonderregelungen zu beachten.
Eine besonders schwierige Situationen ergibt sich dann, wenn die Steuerschulden mit einer Steuerstraftat in Verbindung stehen. In diesem Fall gibt es aller Voraussicht nach keine Lösung durch Vergleich oder Insolvenzverfahren.

Und ganz wichtig: Schuldnerberatung umfasst keine Steuerberatung! Unerlaubte Hilfe in Steuersachen ist mindestens eine Ordnungswidrigkeit! Deshalb: Für die Steuererklärung und damit verbundene Anträge müssen sich unsere Klienten*innen entweder selbst mit einem entsprechenden Programm behelfen oder sich an die Lohnsteuerhilfe oder eine*n Steuerberater*in wenden.