Von den Anfängen der Arbeit in der Sozialen Schuldnerberatung bis zum Abschluss
Bärbel Sterlinski und Pauline Kanzler, Zentrale Schuldnerberatung Stuttgart GbR
Wir wollen hier einen Ausblick und einen Rückblick auf die Arbeit in der sozialen Schuldnerberatung wagen. Wir, das sind zwei Kolleginnen der Zentralen Schuldnerberatung Stuttgart und gleichzeitig Redakteurinnen des „Infodienst Schuldnerberatung“.
Die junge Kollegin am Anfang ihrer Tätigkeit ist Pauline Kanzler. Sie ist seit 01.02.2021 in der ZSB Stuttgart tätig. Die alte Kollegin ist Bärbel Sterlinski, seit 01.05.2002 in der ZSB Stuttgart tätig.
Wenn ich, Pauline Kanzler, zurückblicke zu den Anfängen meines Studiums begegneten mir dort häufig Aussagen wie: Echt? Schuldnerberatung? Das wäre nichts für mich. Dies waren zunächst auch meine eigenen Gedanken zu diesem Handlungsfeld. Grund dafür war die Annahme, dass es in der Schuldnerberatung doch nur um Zahlen, Recht und Rechnerei geht. Ein Thema, das jetzt nicht unbedingt mit der Sozialen Arbeit verknüpft wird. Natürlich spielt das Recht in der Sozialen Arbeit eine große Rolle, jedoch in meiner Vorstellung vor allem die Sozialgesetzbücher. So fragt man sich, wo der soziale Aspekt ist, zwischen all der Aktenarbeit, Rechnerei, dem Gläubigerkontakt und den Verhandlungen. Denn die genannten Aspekte können ja eigentlich viel mehr einem “normalen“ Bürojob zugeordnet werden. Somit sind diese nicht unbedingt der Grund, weshalb man sich für das Arbeitsfeld Soziale Arbeit entscheidet.
Doch warum ist die Schuldnerberatung dann überhaupt im Feld der Sozialen Arbeit zu finden? Was ist daran sozial und warum machen das nicht einfach nur darauf ausgebildete Anwält*innen?
Während meines Semesterpraktika hat sich mein Blick auf die soziale Schuldnerberatung komplett verändert. Natürlich ist es nicht von der Hand zu weisen, dass für dieses Handlungsfeld spezifisches rechtliches Wissen von Nöten ist. Es muss gerechnet werden, mit Gläubiger*innen verhandelt werden. Strukturierte Aktenarbeit ist ebenso Teil davon. Jedoch steckt so viel mehr Soziales hinter dieser Arbeit, als es oberflächlich ersichtlich ist. Schaut man nämlich mal genauer hin, gibt es kaum ein Handlungsfeld der Sozialen Arbeit, in welchem man nicht mit dem Thema Schulden konfrontiert wird. Natürlich gibt es Handlungsfelder, in denen andere Problemlagen weiter oben liegen und zunächst bearbeitet werden müssen, bevor dann zweitrangig das Thema Schulden angegangen wird. Jedoch lässt sich die Thematik keinesfalls ausklammern. Schulden zu haben ist ein enormer psychischer und physischer Druck für die Betroffenen. Wie soll ich mich auf die Kindererziehung konzentrieren können, wenn ich doch eigentlich nur mit der Frage beschäftigt bin, von was ich das nächste Vesper kaufe. Oder wie ich es schaffe, dass meine Kinder nicht der*dem Gerichtsvollzieher*in, begleitet von zwei Polizist*innen, die Türe öffnen müssen. Noch bedrohlicher wird es, wenn die Schulden die Existenz gefährden. Wenn der neu gefundene Arbeitsplatz durch eine Lohnpfändung gefährdet wird, die Räumungsklage ins Haus flattert, weil die Miete nicht bezahlt werden konnte. Oder wenn durch die vielen Ratenzahlungen, die vereinbart wurden, um den Druck nicht weiter ausgesetzt zu sein, das Geld am Monatsende nicht mehr für Lebensmittel reicht. All dieses Jonglieren, versuchen zu überleben und den Schein zu wahren braucht viel Kraft, Energie und Zeit welche dann natürlich für die Bearbeitung anderer Problemlagen fehlt.
Das Schöne an der Schuldnerberatung, was ich sehr zu schätzen gelernt habe, ist die Möglichkeit, die Lebenssituation schnell und erstmals durch schnell wirkende Interventionen wie die Erhöhung der Pfändungsgrenze deutlich verbessern zu können. Da sind ein direkter Erfolg bzw. ein direktes Ergebnis unserer Arbeit sichtbar. Wir können dabei helfen, die Existenz der Ratsuchenden zu sichern und den Betroffenen so schon eine große Last von den Schultern zu nehmen. So kann wieder ein Raum geschaffen werden, mit Kraft, Zeit und Energie andere Problemlagen anzugehen.
Aber was genau ist nun das Besondere an der sozialen Schuldnerberatung und was macht sie sozial? Was ist der Unterschied zur Schuldenregulierung, die ein*e Anwält*in in die Wege leitet?
Ein großer Unterschied ist zunächst, dass wir den Menschen als Ganzes ansehen und nicht nur die Schulden sehen, sondern auch die anderen Problemlagen. Wir versuchen ganzheitlich und natürlich auch nachhaltig dem Ratsuchenden zu helfen. Wir machen die Schulden nicht nur „weg“, wir schauen auch, warum sie da sind. Wie kam es dazu? Wie können wir verhindern, das neue Schulden entstehen? Was braucht die betroffene Person, um in Zukunft mit dem wenigen Einkommen, welches ihr zur Verfügung steht, auszukommen? Wir unterstützen die betroffenen Personen ebenso dabei, wenn es hilfreich erscheint, sie an den entsprechenden sozialen Diensten auch langfristig anzubinden.
Neben den inhaltlichen Aspekten habe ich die Arbeitsbedingungen in der Schuldnerberatung sehr zu schätzen gelernt. Das Beratungsangebot ist für die Ratsuchenden ein komplett freiwilliges, dies ermöglicht eine zwanglose und gute Zusammenarbeit. Die soziale Schuldnerberatung ist ein kleines und in Fachkreisen meist unterschätztes Feld der Sozialen Arbeit und trotzdem reicht das Netzwerk weit. Man findet unter den Kolleg*innen immer einen guten Rat und Unterstützung. Es findet ein reger Austausch statt und auch der Kampfgeist die Lebenssituation für die Schuldner*innen auch weiterhin zu verbessern, ist stets sichtbar. Besonders gut gefällt mir unser großes Team in der Zentralen Schuldnerberatung Stuttgart. Selbst die Besonderheit, dass hier drei Träger gemeinsam arbeiten, stellt keine unsichtbaren Mauern innerhalb des Teams auf. Jede*r Kolleg*in hat ein offenes Ohr, nimmt sich Zeit und ist bereit, mit Rat, Tat und fachlichem Wissen behilflich zu sein. Das Wissens Spektrum ist enorm aufgrund der Menge an langjährigen und erfahrenen Kolleg*innen sowie nun auch immer mehr „Frischlingen“, die noch nah an der frisch gelernten Theorie sind.
Für mich als Berufsanfängerin wurde der Einstieg leichtgemacht, so viele sinnvolle gesetzliche Regelungen wurden bereits erreicht. Es gibt mittlerweile Möglichkeiten, eine Regulierung herbeizuführen, auch wenn kein Vermögen zum Einsatz vorhanden ist. Ich bin nun schon gute zwei Jahre in diesem Berufsfeld aktiv und noch immer begegnen mir neue Themen und Problemlagen. Kein Fall ist wie der andere, kein Weg zur Schuldenregulierung ist gleich. Dies macht die Arbeit unglaublich vielfältig und spannend. Die gesetzlichen Regelungen sind stets im Wandel, man muss am Ball bleiben und wird immer wieder neu gefordert.
Doch wie war dieser Weg zu der Schuldnerberatung von heute? Und was hat das Feld Schuldnerberatung für Kollegen attraktiv gemacht, die von den Anfängen an Teil davon waren?
Am 31.12.2023 endet meine Tätigkeit in der Zentralen Schuldnerberatung Stuttgart und auch die Mitarbeit im „Infodienst Schuldnerberatung“. Nach zwei Jahrzehnten im Bereich Schuldnerberatung kann ich, Bärbel Sterlinski, für mich sagen, es war eine sehr gute und interessante Zeit meines Arbeitslebens. Ich konnte mich immer sehr gut mit meiner Tätigkeit identifizieren. Den Ratsuchenden kann durch reine Informationsbereitstellung schon ein Großteil ihrer Ängste genommen werden. Der Pfändungsschutz hat sich durch Einführung des P-Kontos ganz wesentlich verbessert, es ist nicht mehr notwendig, seine Sozialleistungen innerhalb einer 14 Tagesfrist abzuholen. Geldeingänge, egal woher sie kommen, sind im Rahmen der Grundfreibeträge im laufenden Monat vor Pfändung geschützt. Es hat sich die Zahl der zu stellenden Pfändungsschutzanträge beim Vollstreckungsgericht wesentlich reduziert und uns somit auch viel Arbeit erspart. Das Erstellen der Bescheinigungen über die Erhöhungen der Grundfreibeträge gehört nun zu den Aufgaben der geeigneten Stellen.
In der sozialen Schuldnerberatung ist immer Bewegung. Gesetzliche Vorgaben ändern sich, Rahmenbedingungen werden modifiziert, neue Anbietende mit immer neuen Zahlungsmodellen drängen auf den Markt. Der Konsumdruck, der auf die Verbraucher*innen einwirkt, wird immer intensiver. Die „kaufe jetzt und zahle später“ Strategie des Handels wird immer ausgefeilter. Nie war es so einfach, sich zu ver- und überschulden. In meiner Anfangszeit in der Schuldnerberatung hatten wir noch keine so jungen Menschen mit einem Überschuldungsproblem. Auf der Plattform „TikTok“ gibt es sogar einen Wettbewerb um die höchsten Klarna Schulden… sehr bizarr.
Aus diesem Grund gibt es in der Zentralen Schuldnerberatung Stuttgart einen umfangreichen Präventionsbereich. Gerade junge Leute sind den Versuchungen der bunten Warenwelt ausgesetzt. Die Kolleg*innen leisten mit viel Engagement eine sehr wichtige und hervorragende Arbeit, vor allem im Bereich Schuldenprävention bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Es ist ein Prozess der finanziellen Grundbildung angestoßen worden. Für die Jugendarbeit in der Schuldenprävention ist also gut gesorgt. Die nächste Welle, die auf die Beratungsstellen zurollt wird die Altersarmut sein. Es gibt auch schon Angebote zur Beratung und Information zur Einkommensverringerung bei Eintritt in die Altersrente. Da ist sicher noch Luft nach oben.
Die Einkommensarmut ist durch die Einführung des SGB II (früher auch Hartz IV genannt / jetzt Bürgergeld) zementiert. Die Einkommen hetzen den steigenden Lebenshaltungs-und Wohnkosten hinterher. Es wird versucht über Anhebung der Bürgergeldsätze die Inflation auszugleichen, aber gerade bei den Grundnahrungsmitteln im Niedrigpreissektor sind Preissteigerungen von oft mehr als 50 % zu verzeichnen. Gerade für Familien im Bürgergeldbezug wäre es vielleicht ein guter Ansatz das Kindergeld nicht mehr beim Regelbedarf abzuziehen. Schulden sind nämlich nicht immer ein ausgabenseitiges Problem.
Als ich vor mehr als 21 Jahren in der Schuldnerberatung begann war die Insolvenzordnung und somit die Möglichkeit als Privatperson Insolvenz anzumelden noch keine drei Jahre alt. Das Verbraucherinsolvenzverfahren gibt es erst seit 1999.
Die Kostenstundung für die Verfahrenskosten im Insolvenzverfahren gibt es seit 01.12.2001. Damit gab es für jede*n überschuldete*n Bürger*in die Möglichkeit den Antrag auf Privatinsolvenz zu stellen, obwohl sie*er die damals 3000,00 DM Kostenvorschuss nicht leisten konnte. Die Rechnung für die Gerichtskosten wird erst nach Erteilung der Restschuldbefreiung fällig, und kann auch darüber hinaus noch gestundet werden.
Kann sich heute eine Schuldnerberaterin noch Regulierungen ohne InsO vorstellen? Oft ist der Gang zum Insolvenzgericht der schnelle und einfache Weg. Aber ist er auch immer der Richtige? Die Vielzahl an Anfragen und Anmeldungen in der Schuldnerberatung und die damit einhergehende Warteliste setzt uns als Schuldnerberater*innen manchmal ein wenig unter Druck, doch schnell zum Fallabschluss zu kommen. Und wir haben auch noch die Finanzierung über Fallabschlüsse und Vorgaben der*des Geldgeber*in.
Auf übergeordneter Ebene ist die flächendeckende Finanzierung von kostenloser Schuldnerberatung immer noch ein stetiges Thema. Seit meiner Anfangszeit ging es auch immer wieder um das Thema Anerkennung des Berufsbildes Schuldnerberater*in. Bis heute gibt das nicht.
Immer wieder wird auch auf die Notwendigkeit einer Fachberatungsstelle für Baden-Württemberg gedrängt. Bis heute konnte diese nicht geschaffen werden.
Vieles hat sich in der täglichen Arbeit in unserem Bereich zum Guten entwickelt. So auch zum Beispiel das Recht auf ein Girokonto. Aber es gibt auch noch viel zu tun und zu erreichen. Dazu wünsche ich allen Kolleg*innen viel Kraft und Durchhaltevermögen. Damit verabschiede ich mich…