9. April 2025

Mit seiner Entscheidung vom 03.12.2024 (B 2 U 11/22 R) hat das Bundessozialgericht endlich Klarheit in der Frage geschaffen, ob Sozialleistungsträger auch nach der Restschuldbefreiung weiter aufrechnen dürfen oder nicht. Die Antwort ist ein klares Nein!

Wie funktioniert Aufrechnung eigentlich?

Die Aufrechnung ist in § 387 ff. BGB geregelt, also im Zivilrecht. Rund um die Insolvenz begegnet uns die Aufrechnung aber eher bei Schulden beim Jobcenter oder Sozialamt, bei Krankenkassenschulden oder bei Steuerschulden. Im öffentlichen Recht gibt es keine allgemeine Rechtsnorm zur Aufrechnung. Deshalb werden die Regeln des BGB analog angewandt.

Um Aufrechnen zu können, braucht es eine Aufrechnungslage:

  • die aufzurechnenden Forderungen müssen gegenseitig sein. Bsp.: die krankenversicherte Person schuldet der Krankenkasse die Zuzahlung für einen Krankenhausaufenthalt, wechselseitig schuldet die Krankenkasse der versicherten Person Krankengeld. Wird die Zuzahlung noch vom Krankenhaus selbst ( also nicht von der Krankenkasse) eingefordert, ist keine Gegenseitigkeit gegeben!
  • die Forderungen müssen gleichartig sein. Bsp.: beide Forderungen sind Geldforderungen.
  • die Hauptforderung muss erfüllbar sein. Das bedeutet, die Forderung, wegen der aufgerechnet werden soll, muss erfüllt werden können, sie muss aber noch nicht fällig sein. Bsp.: das Krankengeld für den Folgemonat.
  • die Gegenforderung muss fällig und durchsetzbar sein. Bsp. der Zuzahlungsbeitrag war für einen vergangenen Krankenhausaufenthalt und es gibt keine Einwendungen gegen ihn.

Außerdem geschieht die Aufrechnung nicht automatisch, sondern sie muss erklärt werden. Bsp. die Krankenkasse teilt der krankenversicherten Person mit, dass sie in Höhe der Zuzahlungen mit dem Krankengeld aufrechnet.

Durch die Aufrechnung erlöschen beide Forderungen. Bsp.: es erlöscht der Anspruch der Krankenkasse auf die Zuzahlungen und es erlöscht der Anspruch der versicherten Person auf das Krankengeld in Höhe der Zuzahlungen.

Besonderheiten im öffentlichen Recht

Im BGB ist klar geregelt, dass eine Aufrechnung mit unpfändbaren Forderungen nicht möglich ist. D.h. zivilrechtliche Forderungen aus Verträgen können nie mit unpfändbaren Forderungen aufgerechnet werden.

Im öffentlichen Recht gibt es hingegen viele besondere Regelungen, die dies anders regeln:

Im Sozialrecht ist § 51 SGB I zu beachten. Eine große praktische Bedeutung hat vor allem § 51 Abs. 2 SGB I, nach dem gegen Ansprüche auf laufende Leistungen (Bsp. Krankengeld, Rente) höchstens bis zur Hälfte aufgerechnet werden darf und auch nur wenn das sozialhilferechtliche Existenzminimum eigehalten wird, sofern die leistungsempfangende Person dies nachweist. In unseren Arbeitshilfen finden Sie für diesen Nachweis Musterbescheinigungen.

Beim Bürgergeld sind die Regelungen des § 43 SGB II zu beachten, nach dem die Höhe der Aufrechnung auf 10 % des Regelsatzes bzw. höchstens 30 % des Regelsatzes begrenzt wird. Außerdem ist die Aufrechnung nur in den dort genannten Fällen zulässig. Der Aufrechnungszeitraum ist auf drei Jahre begrenzt.

Bei der Sozialhilfe enthält § 44 SGB XII ähnliche Regelungen.

Bei der Aufrechnung mit laufenden Sozialleistungen sollte deshalb immer zuerst geprüft werden, ob die Aufrechnung in der vorgenommenen Form zulässig ist!

Aufrechnung und Insolvenz

Was passiert nun, wenn ein Insolvenzverfahren eröffnet wird?

In § 94 InsO ist klar geregelt, dass die Aufrechnung in der Insolvenz fortgeführt werden darf, wenn schon vor Insolvenzeröffnung rechtmäßig aufgerechnet wurde. Das bedeutet, diese Aufrechnung läuft in der Insolvenz einfach weiter.

Komplizierter wird es, wenn die Forderung, wegen der aufgerechnet werden soll, erst während des eröffneten Insolvenzverfahrens entsteht. Die §§ 95 und 96 InsO setzen hier Rahmenbedingungen dahingehend, dass die Aufrechnung wegen einer erst im Insolvenzverfahren neu entstandenen Forderung grundsätzlich nicht zulässig ist.

Aber: der Zeitpunkt, wann eine Forderung entstanden ist, kann unterschiedlich bewertet werden. Bei einer Steuerrückerstattung des Finanzamtes entsteht die Rückerstattung steuerrechtlich nach Abgabenrecht erst mit dem Steuerbescheid. Insolvenzrechtlich betrachtet stellt man aber auf die Frage ab, ob diese Forderung des Finanzamtes dem Grunde nach schon früher angelegt war. Dies wird beispielsweise für die Einkommenssteuer (=Lohnsteuer) bejaht für die Zeit, in der der Insolvenzschuldner oder die Insolvenzschuldnerin vor der Insolvenzeröffnung gearbeitet hat. Diese Lohnsteuer wird ja monatlich bereits vom Arbeitgeber an das Finanzamt abgeführt.

Und bei der Aufrechnung von Sozialleistungsträgern ist die Aufrechnung in das unpfändbare Einkommen erlaubt (siehe oben). Das unpfändbare Einkommen gehört nicht zur Insolvenzmasse. Es wird quasi vom Insolvenzrecht nicht erfasst und deshalb sind die §§ 95, 96 InsO für das unpfändbare Einkommen nicht relevant. Aufrechnungen mit unpfändbarem Vermögen durch Sozialleistungsträger sind deshalb während des Insolvenzverfahrens uneingeschränkt weiter möglich.

Mit Aufhebung des Insolvenzverfahrens und Beginn der Wohlverhaltensphase gelten die Regelungen des §§ 94 ff. InsO nicht mehr. Das bedeutet: In der Wohlverhaltensphase kann uneingeschränkt mit Insolvenzforderungen aufgerechnet werden. Hat der Vermieter eine Insolvenzforderung aus offenen Mieten, so kann er mit einer Nebenkostenrückerstattung in der Wohlverhaltensphase aufrechnen. Auch das Finanzamt darf in der Wohlverhaltensphase mit den Rückerstattungen aufrechnen.

Erst mit der Restschuldbefreiung enden alle Aufrechnungen. Mit der Restschuldbefreiung werden alle Insolvenzforderungen zu einer unvollkommenen, rechtlich nicht durchsetzbaren Forderung. Ist eine Forderung nicht mehr rechtlich durchsetzbar, darf mit ihr auch nicht mehr aufgerechnet werden.

Bei der Aufrechnung von Sozialleistungsträgern war dies lange Zeit rechtlich nicht geklärt. Durch Ihre Sonderbefugnisse im SGB wurde Ihnen von einzelnen Gerichten immer wieder auch die Aufrechnung nach Erteilung der Restschuldbefreiung zugestanden. Doch nun hat das Bundessozialgericht für Klarheit gesorgt: Eine Aufrechnung mit Insolvenzforderungen nach Erteilung der Restschuldbefreiung ist auch für diese privilegierten Sozialleistungsträger nicht zulässig.