15. November 2011

Martin Langenbahn, Caritasverband Karlsruhe e.V.

Der Beitrag von Martin Langenbahn befasst sich mit der Existenzgefährdung durch Mietschulden und den Interventionsmöglichkeiten durch die Schuldnerberatung.

Mann kann Schulden nach verschiedenen Kriterien gruppieren, nach Ursache der Forderung (Ratenkredit, Versandhausschulden etc.), unerlaubte Handlung (z.B. Schadensersatz), fällig oder nicht fällig, etc.. Eines der wichtigsten Kriterien in der Schuldnerberatung ist jedoch die Frage, ob die Forderung (unmittelbar) existenzbedrohend für den Schuldner und seine Angehörigen sein kann. Natürlich geht von jeder Forderung, aus der heraus die Zwangsvollstreckung (Gehalts-, Konto- und Sachpfändung) betrieben werden kann, eine Bedrohung aus, die – sofern keine Pfändungsschutzmaßnahmen ergriffen werden – auch existenzgefährdend sein können. Bei Inanspruchnahme der zu Gebote stehenden Schutzinstrumente (Antrag beim Vollstreckungsgericht, Einrichtung eines Pfändungsschutzkontos) ist jedoch durch die gesetzlichen Pfändungsfreigrenzen dafür gesorgt, dass das Existenzminimum des Schuldners und der Personen, denen er zum Unterhalt verpflichtet ist, nicht angetastet wird.

Weitaus gefährlicher sind dagegen Forderungen, die dem Gläubiger Druckmittel an die Hand geben, welche über die Zwangsvollstreckung in das Vermögen des Schuldners hinausgehen.Hierzu zählt z.B. die Möglichkeit, bei Geldstrafen oder Bußgeldern im Fall der Nichtzahlung Ersatzfreiheitsstrafe bzw. Erzwingungshaft zu veranlassen.
Klassischerweise finden wir hier aber auch Mietschulden. Hier können Zahlungsrückstände zu Wohnungsverlust und damit Obdachlosigkeit führen.

Den Umgang mit diesen Schulden in der Schuldnerberatung wollen wir uns nachfolgend etwas genauer ansehen.

Die Beratungssituation

Wenn bereits Mietschulden aufgetreten sind, ist davon auszugehen, dass auch noch weitere Schulden bestehen. I. d. R. wird die Miete meist solange gezahlt, bis tatsächlich „gar nichts mehr geht“.
Bei bestehenden Mietschulden sollte deshalb in der Beratung immer die „Alarmglocke“ läuten und unbedingt nach weiteren Schulden gefragt werden. Um die Mietschulden richtig einordnen zu können, sollte man zunächst möglichst viel Hintergrundwissen in Erfahrung bringen und sich ggf. auch mit Belegen nachweisen lassen. Z. B.

  • Wieso und seit wann wurde die Miete nicht mehr (regelmäßig) bezahlt?
  • Was sind die tatsächlichen aktuellen Rückstände?
  • Sind zum ersten Mal Rückstände aufgetreten oder gab es bereits früher Probleme?
  • Verhältnis zum Vermieter? bzw. wie hat sich der Vermieter bisher dazu geäußert?
  • Stellen die Mietschulden überhaupt eine wirkliche Belastung dar oder wird ein Wohnungsverlust billigend in Kauf genommen (frühere Kündigungen/ Räumungen)?

Hat man dann (hoffentlich) genügend Fakten, um die Dringlichkeit der Situation und die Qualität des Mietverhältnisses einigermaßen einschätzen zu können, sollte man abwägen, was die nächsten Schritte sind: Je nach Situation kann es sinnvoll sein, direkt mit dem Vermieter in Kontakt zu treten und Lösungen vorzuschlagen.
Unter Umständen bleibt aber auch nur noch die Hoffnung auf das Amt für Wohnungssicherung/ Sozialamt bzw. sogar das Prinzip „Zeitgewinn“ (Bsp. Antrag auf angemessene Räumungsfrist), um sofortige Obdachlosigkeit zu vermeiden.

Wann ist der Vermieter wegen Mietschulden zur fristlosen Kündigung eines Mietverhältnisses berechtigt?

Hier gilt es zu unterscheiden:

1. Mit Blick auf zwei aufeinander folgende Zahlungstermine muss der Rückstand mehr als eine Monatsmiete betragen (vgl. § 543 Abs. 2 Nr. 3a BGB).

2. Bleibt der Mieter immer mal wieder Teilbeträge (= Gesamtbetrag) schuldig, muss der Gesamt-Rückstand die Summe von 2 Monatsmieten erreichen (so § 543 Abs. 2 Nr. 3b BGB).

Die „Monatsmiete“ umfasst Kaltmiete plus laufende Nebenkostenvorauszahlungen. Eine offene Nebenkosten-Nachforderung zählt nicht als Mietrückstand und berechtigt daher auch nicht zu einer fristlosen Kündigung.
Welche Mietzahlungen mindestens erbracht werden müssen, damit wegen der auflaufenden Mietrückstände kein Kündigungsgrund erwächst, soll das nachfolgende Fallbeispiel verdeutlichen. Dabei hat die Wohnungskündigung grundsätzlich schriftlich zu erfolgen (§ 568 Abs. 1 BGB). Das Kündigungsschreiben muss vom Vermieter oder seinem dazu bevollmächtigten Vertreter (z. B. Hausverwalter) eigenhändig unterschrieben sein (§ 174 BGB).

Fallbeispiel: Die monatliche Warmmiete beträgt 500 €. Laut Mietvertrag ist sie jeweils bis zum 3. Werktag des laufenden Monats zu entrichten und wurde bis einschließlich Dezember bisher regelmäßig bezahlt. (Achtung: Das nachfolgende Rechenbeispiel berücksichtigt nicht die anfallenden Verzugszinsen.)

Die monatliche Miete inkl. Nebenkosten beträgt 500,- €. Bis Dezember wurde die Miete regelmäßig und in voller Höhe bezahlt!

Zahlungs-termin
Mietzahlung
Diesen Monat offener Betrag
2-Monats-Rückstand
Gesamt-rückstand
Kündigung rechtens?
3. Dez 500,- 0,- 0,- 0,- nein
3. Jan 300,- 200,- 200,- 200,- nein
3. Feb mind. 200,- 300,- 500,- 500,- nein
3. März mind. 300,- 200,- 500,- 700,- nein
3. April mind 201,- 299,- 499,- 999,- nein
3. Mai mind 500,- 0,- 299,- 999,- nein

Fazit: Ab Mai muss die Miete wieder vollständig beglichen werden, ansonsten ist der Vermieter wegen der Höhe des Gesamtrückstandes zur fristlosen Kündigung berechtigt.

Welche Maßnahmen zum Erhalt der Wohnung sind denkbar?

Vermieter zum Verzicht auf sein Kündigungsrecht bewegen. Der Vermieter kann von seinem Recht, wegen Zahlungsverzuges fristlos zu kündigen, absehen. Insbesondere können fällige Mieten gestundet werden und Tilgungsperspektiven für die Mietrückstände erarbeitet werden.

Der Klient sollte offensiv Kontakt mit dem Vermieter suchen,

  • um die Hintergründe für den aktuellen Zahlungsrückstand transparent zu machen,
  • um aufzuzeigen, dass die künftigen Mietzahlungen sichergestellt sind (z. B. Direktüberweisung von Wohngeld und/ oder HLU; Einnahmen aus erlaubter Untervermietung)
  • um eine Tilgungsperspektive für die Mietrückstände zu entwickeln.

Kündigung durch Zahlung ausschließen – § 543 Abs. 2 Satz 2 BGB

Der Vermieter verliert sein Recht zu kündigen, wenn der Mieter vor Zugang des Kündigungsschreibens beim Mieter den gesamten Mietrückstand begleicht.

Zu obigem Fall: Kann der Klient im April tatsächlich nur 200,- € aufbringen, …

  • wächst der Gesamtrückstand auf 1.000,- € an und
  • der Vermieter ist jetzt zur fristlosen Kündigung berechtigt!!

Aber: Der Mieter kann die Kündigung noch durch Zahlung des gesamten Mietrückstandes in Höhe von 1.000,- € vor Zugang des Kündigungsschreibens ausschließen.

Kündigungswirkung durch Aufrechnung beseitigen § 543 Abs. 2 Satz 3 BGB
Eine bereits zugegangene Kündigung wird unwirksam, wenn der Klient (ausnahmsweise) über einen fälligen Gegenanspruch in Höhe des gesamten Mietrückstandes (z.B. Nebenkostenrückerstattung) verfügt und unverzüglich die Aufrechnung erklärt.

Zu obigem Fall: Schuldete z. B. der Vermieter zum Zeitpunkt der Kündigung dem Mieter noch Lohn aus Hausmeistertätigkeiten oder Schadensersatz wegen Wasserschadens in Höhe von 1.000,- €, kann der Mieter unverzüglich nach Kündigung aufrechnen, um damit die Kündigung unwirksam zu machen.

Achtung: Mietkaution kann nicht verrechnet werden, da andere Zweckbestimmung!

Nachholungsrecht innerhalb Schonfrist nutzen – § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB

Nach erfolgter fristloser Wohnungskündigung wegen Zahlungsverzuges eröffnet der soziale Mieterschutz noch eine Schonfrist von 2 Monaten. Die Schonfrist beginnt nicht etwa mit dem Zugang des Kündigungsschreibens, sondern erst mit dem „Eintritt der Rechtshängigkeit“, d. h. mit dem Tage der gerichtlichen Zustellung der Räumungsklageschrift beim Mieter.

Beispiel: Hat der Vermieter durch – am 10. April zugegangenes – Kündigungsschreiben unter Hinweis auf den Gesamtmietrückstand fristlos gekündigt und wurde dem Mieter am 15. April die Räumungsklage zugestellt, läuft die Schonfrist von zwei Monaten am 15. Juni ab (vgl. § 188 Abs. 2 Satz 1 BGB).

Spätestens am 15. Juni müsste dem Vermieter eine Verpflichtungserklärung des Jobcenters/ Sozialamtes bzw. die Geldzahlung vorliegen, welche den Mietrückstand sowie die ortsübliche Miete (zumindest den vereinbarten Mietzins) vom 1. Mai an umfasst.

Innerhalb dieser Zwei-Monatsfrist kann die Kündigung noch auf 2 Wegen unwirksam gemacht werden:

a) Der Mieter zahlt die Mietschulden sowie die ab Kündigungszugang fällige Nutzungsentschädigung (§ 546a BGB), z. B. über Lohnvorschuss oder ein Stiftungsdarlehen.

oder

b) Eine öffentliche Stelle (Jobcenter oder örtlicher Sozialhilfeträger) erklärt sich zur Mietschuldenübernahme bereit (Rechtsgrundlage: s. u.). Der örtliche Träger der Grundsicherung für Arbeitssuchende bzw. der Sozialhilfe muss ja nach § 22 Abs. 6 SGB II bzw. § 36, Abs. 2 SGB XII von einer Räumungsklage informiert werden.

Rechtsgrundlagen zur Übernahme von Mietschulden:

  • im SGB II

Im SGB II ist eine mögliche Mietschuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II an den Bezug von Leistungen für Unterkunft und Heizung nach diesem Gesetz gebunden. Der Gesetzestext besagt:

„Sofern Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird, können auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht…. Geldleistungen sollen als Darlehen erbracht werden..“

  • im SGB XII

Rechtsgrundlage ist hier § 36 SGB XII (entspricht in etwa dem bisherigen § 15a BSHG). Die Hilfe zum Lebensunterhalt in Sonderfällen steht demnach grundsätzlich im Ermessen des Sozialhilfeträgers. Sonderfall heißt, dass die Hilfe unabhängig ist von einem laufenden Sozialhilfebezug.

Die Hilfe kommt in Betracht, soweit dies „zur Sicherung der Unterkunft“ oder „zur Behebung einer vergleichbaren Notlage“ gerechtfertigt ist.

„Schulden können nur übernommen werden, wenn dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Geldleistungen können als Beihilfe oder als Darlehen erbracht werden“.

Man beachte den Unterschied zur Regelung im SGB II: dort „sollen“ (=Regelfall) Schulden als Darlehen übernommen werden, im SGB XII ist dagegen von „können“ die Rede. Die Leistung kann auch als nicht rückzahlbare Beihilfe erbracht werden, was im SGB II praktisch ausgeschlossen ist. Man kann sich zu Recht fragen, ob diese Ungleichbehandlung von SGB II- und SGB XII – Empfängern mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz von Art. 3 Grundgesetz vereinbar ist, da sie offensichtlich rein fiskalisch motiviert ist (SGB II-Empfänger gibt es wesentlich mehr als SGB XII-Empfänger).

Falls das Sozialamt auf den Antrag nicht reagiert, sollte nach Ablauf von 4 Wochen seit der Zustellung der Räumungsklage über einen Anwalt eine einstweilige Anordnung beim Sozialgericht bzw. eine Klageerwiderung erwirkt werden.

Angemessene Räumungsfrist erwirken § 721 ZPO

Ist die Schonfrist verstrichen, gibt das Gericht der Räumungsklage statt. Das Räumungsurteil verpflichtet den Schuldner:

  • zur Zahlung des Mietrückstandes plus Nutzungsentschädigung,
  • zur Erstattung der Verfahrens- und Vollstreckungskosten,
  • zur Räumung der Mietwohnung

Der Wohnungsverlust ist nun rechtlich nicht mehr zu verhindern, aber der Räumungstermin (sowie eine kostspielige Zwangsräumung) sind noch beeinflussbar:

  • durch Antrag auf angemessene Räumungsfrist (§ 721 Abs. 1 ZPO)
  • die Verlängerung der Räumungsfrist ist ggf. auch mehrmals möglich. Sie muss spätestens 14 Tage vor Fristablauf beantragt werden (§ 721 Abs. 3 ZPO)

Achtung: Der Räumungsaufschub ist auf max. 1 Jahr begrenzt (§ 721 Abs. 5 ZPO). Der Gläubiger kann auch Verkürzung beantragen.

Mögliche Voraussetzungen für einen erfolgreichen Antrag auf Räumungsaufschub:

  • es liegt bereits ein neuer Mietvertrag vor und die Überbrückungsdauer ist nur kurz
  • es liegt eine besondere Härte (Schwangerschaft, Krankheit, …) für die sofortige Räumung vor. Das Mieterverhalten ist jedoch zu berücksichtigen.

Vollstreckungsschutz mittels Härteklausel – § 765a ZPO

Ist die Räumungsfrist abgelaufen, lässt sich die drohende Räumung nur noch in Härtefällen durch Einschaltung des Vollstreckungsgerichts (vorübergehend) abwenden. Eine sittenwidrige Härte wird seitens der Rechtspfleger insbesondere angenommen, wenn:
der Mieter oder ein Angehöriger schwer erkrankt ist,

  • eine Entbindung bevorsteht,
  • konkrete Suizidgefahr ärztlich attestiert wird (vgl. BVerfG NJW 1991, 3207)
  • ein Pflegefall wg. altersbedingte Gebrechlichkeit droht (vgl. BVerfG NJW 1991, 3207f.)
  • eine Ersatzwohnung zur Verfügung steht und nur noch ein „kurzer Zeitraum“ zu überbrücken ist.

Fortsetzungsarrangement mit Vermieter

Während des Räumungsprozesses und im Zwangsvollstreckungsverfahren sollte man trotz oft verfahrener Situation nach einer einvernehmlichen Lösung mit dem Vermieter suchen.
Wohnungsbaugesellschaften sind mitunter bereit, das Mietverhältnis trotz Räumungstitels fortzuführen bzw. einen neuen Mietvertrag abzuschließen, wenn Mietschulden und Verfahrenskosten (vom Sozialamt) übernommen werden. Die Kooperationsbereitschaft steigt, falls Wohnungsbeschlagnahme und Widereinweisung durch das Ordnungsamt oder kostspielige Renovierungsmaßnahmen anstehen.

Aber: Solange der Mietvertrag nicht wieder förmlich in Kraft gesetzt wurde, nutzt der Klient die Wohnung ohne mietrechtliche Grundlage. D.h. der Vermieter kann zunächst bei der geringsten Regelwidrigkeit auf seinen bestehenden Räumungstitel zurückgreifen und auch den Gerichtsvollzieher erneut beauftragen! Das Sozialamt wird hier eine Mietschuldenübernahme hoffentlich vom Abschluss eines neuen Mietvertrages abhängig machen.