19. Juni 2023

Daniela Hihn, Kreisdiakonieverband im Landkreis Esslingen

In diesem Beitrag werden anhand eines realen Fallbeispiels die Voraussetzungen für Aufrechnung und Verrechnung von Rentenleistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung beschrieben.

Verrechnung:

An einer Schuldnerberatungsstelle meldete sich eine verzweifelte Rentnerin über 80 Jahre. Sie hatte von der Deutschen Rentenversicherung ein Schreiben mit folgender Mitteilung bekommen: Ihre gesetzliche Krankenversicherungskasse hatte sich wegen alter Beitragsforderungen an die Rentenversicherung gewandt mit der Ermächtigung zur Verrechnung der Altersrente mit der Forderung. Das Schreiben des Rententrägers an die Klientin war eine Anhörung mit der Möglichkeit der Abwendung der Verrechnung, wenn sie nachweise, dass sie durch diese Verrechnung hilfebedürftig nach SGB XII oder SBG II würde.
Angesichts einer monatlichen Altersrente von unter 600 Euro erscheint so ein Schreiben zunächst lebensfremd. Was ist der Hintergrund dieser Verrechnungsmöglichkeit?

Durch den § 52 Sozialgesetzbuch I wurde der Rentenversicherungsträger zur Verrechnung von der Krankenversicherung ermächtigt:
„Der für eine Geldleistung zuständige Leistungsträger kann mit Ermächtigung eines anderen Leistungsträgers dessen Ansprüche gegen den Berechtigten mit der ihm obliegenden Geldleistung verrechnen, soweit nach § 51 die Aufrechnung zulässig ist.“

Die Ermächtigung erfolgte in Verbindung mit § 51 SGB I:

„(1) Gegen Ansprüche auf Geldleistungen kann der zuständige Leistungsträger mit Ansprüchen gegen den Berechtigten aufrechnen, soweit die Ansprüche auf Geldleistungen nach § 54 Abs. 2 und 4 pfändbar sind.
(2) Mit Ansprüchen auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen und mit Beitragsansprüchen nach diesem Gesetzbuch kann der zuständige Leistungsträger gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte aufrechnen, wenn der Leistungsberechtigte nicht nachweist, dass er dadurch hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des Zwölften Buches über die Hilfe zum Lebensunterhalt oder der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch wird.“

Voraussetzungen für eine Verrechnung sind, dass
• es sich um zwei Leistungsträger handelt
• der eine Leistungsträger den anderen ermächtigt
• die Forderung gleichartig ist (Geldforderung) und
• sie fällig ist (Stix, Diener: S. 58).

Die Voraussetzungen waren im konkreten Fall gegeben. Auf ihr Ersuchen hin erhielt die Klientin vom Träger der Grundsicherung eine Bescheinigung über den Sozialhilfebedarf zur Vorlage beim Rententräger, die nachwies, dass sie im Falle einer Verrechnung sozialhilfebedürftig würde. Die von der Krankenversicherung beantragte Verrechnung war aufgrund der Erfüllung von § 51 SGB I Abs. 2 S. 2 damit nicht mehr möglich.

Grundsätzlich sind diese Bescheinigungen je nach Leistungsart (SGB II oder SGB XII) vom zuständigen Jobcenter bzw. Sozialamt zu erstellen. An dieser Stelle der Hinweis, dass eine solche „Garantiebescheinigung“ im Einzelfall auch von der Schuldnerberatungsstelle ausgefüllt werden kann, diese allerdings von manchen Trägern nicht akzeptiert wird. Prof. Dr. Zimmermann stellt beim Infodienst Schuldnerberatung ein aktuelles Formular unter diesem Link zur Verfügung. https://infodienst-schuldnerberatung.de/beratung/2023-bescheinigungen-des-sozialrechtlichen-existenzminimums-nach-sgb-ii-und-sgb-xii-2/

Aufrechnung:

Während § 52 SGB I i.V.m. § 51 SGB I nur für den Fall der Verrechnung gilt, gilt der § 51 SGB I für den Fall der Aufrechnung.

Die Besonderheit der Aufrechnung gegenüber der Verrechnung besteht darin, dass Forderung und Leistung beim gleichen Träger sein müssen. Das bedeutet, dass zum „Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung der Gläubiger (Leistungsberechtigter) der Hauptforderung (zum Beispiel Rente) zugleich Schuldner der Gegenforderung (zum Beispiel Schadenersatzforderung) und der Gläubiger (Leistungsträger) der Gegenforderung zugleich Schuldner der Hauptforderung sein muss.“ (Stix, Diener: S. 49)
Häufiger als beim Rententräger erleben wir in der Praxis Aufrechnungen beim Finanzamt, wenn Steuerrückerstattungen mit Steuerschulden aus der Vergangenheit aufgerechnet werden sowie beim Bürgergeld, wenn laufende Leistungen mit Rückforderungen aufgerechnet werden.

Voraussetzungen, dass eine Aufrechnungslage nach § 387 BGB besteht, sind
• die Gleichartigkeit der Forderungen
• die Gegenseitigkeit der Forderungen
• die Wirksamkeit der Forderungen und
• die Fälligkeit der Gegenforderung.

Im oben beschriebenen Verrechnungsfall der Rentnerin führte ihr Hilferuf an die Schuldnerberatungsstelle und die folgenden Schritte zur weiteren Entlastung. Sie hatte auf unser Anraten hin gleichzeitig Antrag auf Leistungen nach dem SGB XII beim örtlichen Sozialamt gestellt. Die daraufhin erfolgte Leistungsgewährung diente nicht nur der dringend notwendigen Existenzsicherung, auch konnte die Frau dadurch endlich wieder in die Normalversorgung in der Krankenversicherung kommen.

Quellen:

Sozialgesetzbuch I

Bürgerliches Gesetzbuch

Manfred Stix, Klaus Diener: Pfändung, Abtretung, Aufrechnung von Renten, Studientext Nr.24 (Stand 01.01.2022) https://www.deutsche-rentenversicherung.de/SharedDocs/Downloads/DE/Fachliteratur_Kommentare_Gesetzestexte/Studientexte/Verfahrensrecht/24_pfaendung_abtretung_aufrechnung_von_renten.html

Dr. Dieter Zimmermann: Ab 01.01.2023: Bescheinigungen des „sozialrechtlichen Existenzminimums“ nach SGB II und SGB XII https://infodienst-schuldnerberatung.de/beratung/2023-bescheinigungen-des-sozialrechtlichen-existenzminimums-nach-sgb-ii-und-sgb-xii-2/