28. Dezember 2013

Martin Langenbahn, Ass. Jur., Caritasverband Karlsruhe e.V.

„Ein seltsames Paar“, das war der Titel einer der amüsantesten Komödien der Filmgeschichte aus dem Jahr 1968 mit Jack Lemmon und Walter Matthau in den Hauptrollen. Der eine spielt einen überpeniblen Hypochonder, Felix, der andere dessen Freund Oscar, Sportreporter, Chaot und notorischer Frauenheld. Oscar nimmt seinen in Not geratenen Freund Felix, der von seiner Frau aus der ehelichen Wohnung geworfen wurde, bei sich zu Hause auf. Das Unheil nimmt seinen Lauf.

Eines ist in der Geschichte von Beginn an klar: die beiden passen nicht zusammen, und das haben sie mit der Paarung Kredit und Restschuldversicherung (Rsv) gemeinsam. Mehr aber auch nicht, denn dieses Paar ist keineswegs unterhaltsam, sondern stellt für Kreditschuldner eine ernsthafte Gefahr der Überschuldung dar.

Wir wollen uns in diesem Artikel zunächst mit den Hintergründen der Verkuppelung von Kredit und RSV durch die Kreditwirtschaft beschäftigen. Dann sehen wir uns gemeinsam an, wie dieses System wirtschaftlich funktioniert. Und zuletzt versuchen wir, rechtliche Mittel zu finden, Schuldnern aus der Kostenspirale dieser Zwangsehe zwischen Kredit und Rsv herauszuhelfen.

Der Ausgangspunkt

Alles begann im Jahr 1963. Damals wurden die bis dahin in der Bundesrepublik Deutschland geltenden administrativen Zinsobergrenzen abgeschafft, es gab also keine zahlenmäßige Begrenzung des Zinssatzes für Verbraucherkredite mehr.

In den darauffolgenden Jahrzehnten stieg die Anzahl der Privatkonsumentenkredite in Deutschland kräftig an. Die Bankenbranche erkannte das enorme Potenzial dieses Absatzmarktes und forcierte die Entwicklung entsprechender Finanzprodukte.

Und die Kredite wurden teurer

Wie es in dieser Branche schon immer guter Brauch war, verfuhr sie nach dem Prinzip von Theodor Storms kleinem Häwelmann: „Mehr, mehr!“ Den Einwand des Mondes – „alles mit Maßen!“ – hat sie nie gehört.

Bis zum Jahr 1981 stieg der Schwerpunktzinssatz1 für Ratenkredite bis auf 18%2.

Dann endlich im Jahr 1982 erhielt die Rechtsprechung Gelegenheit, dem munteren Zinstreiben Einhalt zu gebieten.

Der BGH3 stellte in einem Grundsatzurteil fest, dass Kreditverträge bei einer im Vergleich zum Marktzins überhöhten Verzinsung sittenwidrig und nichtig sein können.
Dies sei dann der Fall, wenn zwischen Leistung und Gegenleistung ein auffälliges Missverhältnis besteht und der Kreditgeber die schwächere Lage des anderen Teils bewusst zu seinem Vorteil ausnutzt oder sich leichtfertig der Erkenntnis verschließt, dass der Kreditnehmer sich nur wegen seiner schwächeren Lage auf die drückenden Bedingungen einlässt.4

Der Tatbestand des auffälligen Missverhältnisses wurde vom BGH in Folgeentscheidungen konkretisiert. Davon sei in der Regel auszugehen, wenn der Vertragszins den marktüblichen Zinssatz relativ um 100 % oder absolut um 12 % oder mehr übersteigt.5

Diese Grundsätze sind seitdem ständige Rechtsprechung des BGH. Sie führten zunächst relativ schnell dazu, dass unmittelbar sittenwidrige Kreditzinsen bald der Vergangenheit angehörten.

Aber die Branche reagierte. Der kleine Häwelmann schläft nie. Der BGH hatte eine Quelle maßloser Bereicherung zum Versiegen gebracht. Nun galt es, die Wünschelrute auszuwerfen und nach neuen Möglichkeiten und Modellen zu suchen, dem tumben Verbraucher das Brotgeld abzujagen.

Der BGH hatte die Sittenwidrigkeit an die Höhe des Zinssatzes als solchen geknüpft. Die Zinssätze fielen also bis knapp unter die Wuchergrenze. Aber der Kredit erhielt Gesellschaft: die Restschuldversicherung trat auf die Bühne.

Das Wirtschaftsmodell Kredit und Rsv

An sich sind Versicherungen ein Segen. Mit ihrer Hilfe sind wir in der Lage, existenzielle Risiken abzusichern. Aus diesem Grund sind manche Versicherungen sogar Pflicht, wie etwa die KfZ-Haftpflichtversicherung.

Dann gibt es aber auch unsinnige Versicherungen, z.B. Glasbruchversicherung , Brillenversicherung, Reisegepäckversicherung, Handyversicherung , Versicherung gegen „häusliche Notfälle“6 oder Versicherung gegen Steckenbleiben im Fahrstuhl7 (statistisch bleibt jeder Deutsche nur einmal in 102 Jahren im Aufzug stecken).

Und es gibt die Rsv. Sicher, diese Versicherung bietet Schutz gegen Zahlungsrisiken aufgrund von Todesfall, Krankheit oder Arbeitslosigkeit. Aber der Charme und Sinn einer Risiko-Versicherung liegt gerade darin, dass die für sie zu entrichtende Prämie erheblich günstiger ist, als das versicherte Risiko.

Eine Risikolebensversicherung deckt zum Beispiel das Todesfallrisiko (Hausfinanzierung etc.) komplett ab, für eine Prämie von vielleicht 100 € – im Jahr.

Genau hier liegt der Haken bei den meisten Rsv. Sie sind schlicht überteuert. Um nicht zu sagen: frivol teuer.

Ein Beispiel8:
Fritz Frohgemut ist 30 Jahre alt und Angestellter bei der Einzelhandelskette Kaufstadt, wo er seit 2010 unbefristet angestellt ist. Fritz verdient 1500 € netto monatlich.

Ein Ratenkredit über netto 20.000 € kostet Fritz bei der Turbo-Bank insgesamt:

Gesamtbetrag: 32.356,80 EUR
monatliche Rate in EUR: 449,40
effektiver Jahreszins: 10,99 %
Zinsen nominal: 8.819,00 EUR
Rsv – Versicherung: 3.537,80 EUR

Rechnet man die Kosten der Rsv in Höhe von 3.537,80 EUR in den Kredit hinein, ergibt sich ein effektiver Jahreszins von 18,86 %. Damit wäre der Kredit im Bereich des Zinswuchers, wenn – ja wenn der Abschluss einer Rsv von der Bank zur Voraussetzung für den Kreditabschluss gemacht würde.

Die herrschende Meinung in der Rechtsprechung9 und juristischen Literatur10 geht nämlich davon aus, dass die (Nicht-)Berücksichtigung der Rsv-Prämie nach dem Freiwilligkeits-Ansatz zu begründen sei.

Diese Auffassung findet Ausdruck in der Preisangabenverordnung (PAngVO), die auf Grundlage von § 1 Preisangabengesetz11 erlassen wurde.

In § 6 PangVO heisst es:

§ 6 Kredite

(1) Bei Krediten sind als Preis die Gesamtkosten als jährlicher Vomhundertsatz des Kredits anzugeben und als „effektiver Jahreszins“ oder, wenn eine Änderung des Zinssatzes oder anderer preisbestimmender Faktoren vorbehalten ist (§ 1 Abs. 5), als „anfänglicher effektiver Jahreszins“ zu bezeichnen….
(2) Der anzugebende Vomhundertsatz gemäß Absatz 1 ist mit der im Anhang angegebenen mathematischen Formel und nach den im Anhang zugrunde gelegten Vorgehensweisen zu berechnen. Er beziffert den Zinssatz, mit dem sich der Kredit bei regelmäßigem Kreditverlauf, ausgehend von den tatsächlichen Zahlungen des Kreditgebers und des Kreditnehmers, auf der Grundlage taggenauer Verrechnung aller Leistungen abrechnen lässt. ….
(3) In die Berechnung des anzugebenden Vomhundertsatzes sind die Gesamtkosten des Kredits für den Kreditnehmer einschließlich etwaiger Vermittlungskosten mit Ausnahme folgender Kosten einzubeziehen:
…. 5. Kosten für Versicherungen oder Sicherheiten; es werden jedoch die Kosten einer Versicherung einbezogen, die die Rückzahlung an den Darlehensgeber bei Tod, Invalidität, Krankheit oder Arbeitslosigkeit des Kreditnehmers zum Ziel haben, über einen Betrag, der höchstens dem Gesamtbetrag des Kredits, einschließlich Zinsen und sonstigen Kosten, entspricht, und die der Darlehensgeber zwingend als Bedingung für die Gewährung des Kredits vorschreibt.

Ein nach § 138 BGB sittenwidriger Ratenkredit läge in unserem Beispiel mit Fritz Frohgemut also nach der herrschenden Auffassung nur dann vor, wenn die Turbo-Bank im Beratungsgespräch deutlich gemacht hätte, dass der Kredit nur ausgereicht werde, wenn der Kunde auch den Rsv-Vertrag unterschreibt.

Als Schuldnerberater hört man auf Nachfrage bei Schuldnern häufig, dass einschlägig bekannte Banken den Abschluss der Ratenversicherung im Verkaufsgespräch (von den Banken irreführend als „Beratungsgespräch“ bezeichnet) ganz klar zur Voraussetzung der Kreditvergabe machen. Nicht selten ist die „Option“ Rsv im Kreditantrag schon vorab angekreuzt, um beim Kunden den Eindruck zu erwecken, die Rsv sei zwingende Bedingung zum Erhalt des Darlehens.

Könnte Fritz Frohgemut der Bank also nachweisen – denn insoweit trägt er die Beweislast – die Bank habe die Kreditvergabe kausal an den Abschluss der Rsv geknüpft, würden deren Kosten in den effektiven Zinssatz mit eingerechnet. Die Folge wäre – wie in unserem Beispiel erläutert – ein sittenwidriger Zinssatz. Kredit und Rsv (letztere nach § 139 BGB) wären dann nichtig. Die Folge wäre, dass Fritz den (Netto-)Kredit zwar in der ursprünglich vereinbarten Zeit12 (z.B. 6 Jahre) zurückzahlen müsste, dies aber ohne Kosten und Zinsen13.

Allein, Fritz wird der Nachweis in aller Regel nicht gelingen, denn man nimmt in der Regel keine Zeugen mit zum Kreditgespräch bei einer Bank. Allenfalls die Ehefrau oder Lebensgefährtin hat Fritz begleitet. Aber die muss in der Regel dann den Kredit mitunterzeichnen und fiele als Zeugin im Prozess daher aus. Sie wäre allenfalls als Partei vernehmbar. Der Beweiswert einer solchen Aussage wird von den Gerichten aber naturgemäß als sehr schwach eingestuft.

Auch ein heimlicher Mitschnitt des Gesprächs, was heute mit jedem Handy möglich ist, würde Fritz nichts nützen, denn der Mitschnitt wäre vor Gericht nicht als Beweis zugelassen.

Natürlich wäre auch ein anderer Ansatz denkbar, um die Sittenwidrigkeit des Darlehens zu begründen. Dieser Ansatz lautet in etwa so: Die Bank handelt sittenwidrig, wenn sie den Kreditschuldner sehenden Auges in die Überschuldung treibt. Dieses Verantwortlichkeitsprinzip entstammt dem traditionell stark dem Verbraucherschutz verpflichteten französischsprachigen Rechtsraum (Frankreich, Belgien, Schweiz). Dort gilt ein Verbot einer überschuldungsfördernden Kreditvergabe14.

Das traditionell (wirtschafts-)liberale deutsche Recht, in seiner vom BGH konkretisierten Form15 sieht das freilich anders.

Es folgt weitgehend dem marktorientierten Prinzip. Danach kann ein unerträgliches Ergebnis (überschuldungsfördernde Kreditvergabe) gerechtfertigt sein, wenn dieses Ergebnis „fair“ also freiwillig mit Zustimmung des Kreditnehmers zustande kam16.

Man könnte auch sagen: jeder ist seines Glückes Schmied, wenn er auch vom Schmieden keine Ahnung hat. Und der Schmied darf ihm den Vorschlaghammer in die Hand geben und seelenruhig dabei zusehen, wie er sich damit auf die Finger haut. Er muss nur ehrlich sagen, dass der Hammer ein Gewicht von 30 kg und nicht nur 10 kg hat.

Nun könnte man natürlich einwenden, nicht die Bank selbst sondern das Versicherungsunternehmen sei Nutznießer der hohen Versicherungsprämie, die für die Rsv zu entrichten ist.

Aber das ist nur auf den ersten Blick der Fall. Die Versicherungsprämie – in unserem Beispiel waren es 3.537,80 EUR – erhöht nämlich zum einen den Kreditbetrag, was zu höheren Zinsen für die Bank führt. Zum anderen erhält die Bank vom Versicherer sofort eine hohe Abschlussprovision, die dem Kunden gegenüber nicht offengelegt wird, um das überwiegende Eigeninteresse der Bank am Abschluss der Rsv zu verschleiern. Diese Provision, im Fachjargon „kick-back“ genannt, beträgt häufig mehr als die Hälfte der gesamten Versicherungsprämie.

Unglückliche Rechtsprechung

Zur Ehrenrettung der Rechtsprechung muss an dieser Stelle erwähnt werden, dass man das Problem der Umgehung der Wuchergrenze mit Hilfe der Rsv durchaus erkannt, und auch zu lösen versucht hat17. Die Betonung liegt aber leider auf „Versuch“. Der Ansatz der Rechtsprechung geht dabei dahin, die vom Kredit- und Versicherungsnehmer zu zahlende Rsv-Prämie zumindest hälftig dem Kreditgeber zuzuordnen18 und damit auch hälftig bei der Ermittlung der Sittenwidrigkeit zu berücksichtigen. Das wird damit begründet, dass ja der Versicherungsnehmer auch ein nachvollziehbares Interesse am Abschluss der Rsv habe, nämlich den erlangten Versicherungsschutz. Dieses Interesse sei dann hälftig zu berücksichtigen.

Tragisch ist, dass die Richter dabei einer altbekannten Schwäche des Juristenstandes erlegen sind: Mathematik ist seine Sache nicht.

Der Autor dieses Artikels, selbst Jurist, hat daher den Rat eines Sachverständigen eingeholt, den eigenen Vater, Mathematiker im Ruhestand.

Die Richter stießen bei ihrer Urteilsfindung auf das Phänomen, „wonach an sich wucherische Ratenkredite durch eine ebenfalls wucherische Rsv selbst, wenn man sie auch noch zur Hälfte dem Kreditgeber zuordnet, gerade wegen der Mehrbelastung nicht mehr wucherisch erschienen. Statt aus diesem Ergebnis Rückschlüsse auf die mathematischen und logischen Umsetzungsfehler zu ziehen, auf die bereits frühzeitig hingewiesen wurde, hat sie kurzerhand eine Berücksichtigung der Rsv ganz ausgeschlossen, worin ihr bis heute die herrschende Meinung kritiklos folgt.“19

Der mathematische Fehler, der den Richtern dabei unterlief, wird von Reifner20 wie folgt kommentiert: „In der Grundschule wird dieser Fehler mit einem wenig schmeichelhaften Merksatz belegt. Er lautet: Differenzen und Summen kürzen nur die Dummen.“

Ein Beispiel:

Wir haben eine Wuchergrenze, wenn der Vertragszins bei 200% des Marktzinses liegt, also im Verhältnis 2/1

Bei der hälftigen Berücksichtigung der Rsv verfährt die Rechtsprechung wie folgt: sie fügt einfach im Zähler wie im Nenner 0,5 hinzu: 2+0,5/1+0,5

Das ergibt dann 2,5/1,5= 1,66 also nur noch 66% Überschreitung bei Berücksichtigung der RsV, obwohl der Kreditzins bereits ohne Berücksichtigung der Rsv bei 200 % über dem Marktzins lag!

Der bereits aufgrund des zu hohen Effektivzinses sittenwidrige Kredit, der durch die RSV ja noch teurer geworden ist, wird also durch diese verhängnisvoll fehlerhafte Rechnung wieder „geheilt“!

Richtigerweise müsste die Einbeziehung der Rsv dergestalt stattfinden, dass im Zähler das Doppelte hinzu zu zählen ist wie im Nenner: 2+1/1+0,5=3/1,5=2=200%

Ansonsten wäre ein Kredit mit Rsv nur dann sittenwidrig, wenn neben dem Kredit auch die Rsv doppelt so teuer wäre wie die Rsv im Marktkredit.

Wir können also an dieser Stelle festhalten: Das Geschäftsmodell des sittenwidrig hohen Zinssatzes wurde erfolgreich ersetzt durch das Modell Kredit mit Rsv. Letzteres Modell führt im Ergebnis zu ähnlich hohen Belastungen wie die sittenwidrigen Zinssätze zu Beginn der 80er-Jahre. Da aber die konditionale Verknüpfung von Kredit und Rsv für den Verbraucher in der Regel nicht nachweisbar ist, werden die Kosten der Rsv beim Zinssatz nicht berücksichtigt, was formaljuristisch dazu führt, dass der Kredit nicht gegen § 138 BGB verstößt und daher wirksam ist.

Oder anders gesagt: die wegweisende Rechtsprechung des BGH zur Sittenwidrigkeit von Ratenkrediten wird mit diesem Kombi-Modell erfolgreich ausgehebelt. Gutgemeinte Korrekturversuche der Rechtsprechung führen leider aufgrund mathematischer Fehlverständnisse nicht zum Erfolg.

Kettenumschuldungen

Als wäre dies für die Verbraucher nicht schon schlimm genug, setzen die Banken dem Wucher-Modell Kredit+Rsv noch eins drauf: wir reden von Kreditumschuldungen.

Viele Kreditnehmer geraten nach Aufnahme eines Ratenkredits erneut in Geldnot. Das ist nicht verwunderlich, denn meist ist bereits die monatliche Belastung durch die Kreditraten so hoch, dass ein Haushaltsrückstand entsteht, der dann dazu führt, dass der Dispokredit auf dem Girokonto immer stärker in Anspruch genommen wird, bis das Limit erreicht ist. Oder es müssen Anschaffungen oder Reparaturen getätigt werden, für die keine Rücklagen gebildet werden konnten. In dieser Situation ist guter Rat teuer. Und zwar sehr teuer.

Der kleine Häwelmann weiß Rat, er bietet dem Kreditnehmer freundlich seine Hilfe an. Diese sieht wie folgt aus: Der bisherige Ratenkredit wird „aufgestockt“ um den benötigten Betrag. Teilweise erhalten Kreditnehmer systematisch Schreiben ihrer Bank, in denen ihnen überschaubare Beträge als Zusatzkredit mit dem Argument angeboten werden, sie “hätten wieder 2000 € frei“21

Doch was passiert bei der Umschuldung wirklich und welche Gewinne erzielt dabei die Bank?

„Aufstockung“ beschreibt den Vorgang nicht richtig. Vielmehr wird der ursprüngliche Kredit vom Kreditnehmer gekündigt und ein neuer Kreditvertrag abgeschlossen. Ebenso wird die Rsv, die im Zusammenhang mit dem Erst-Kredit abgeschlossen worden war, gekündigt und – natürlich – eine neue RsV abgeschlossen. Wir haben ja bereits erörtert, dass die Kosten der Rsv zu einem großen Teil durch die überhöhten und dem Kreditnehmer nicht offengelegten Provisionen zustande kommen, welche die Bank vom Versicherungsgeber für die Vermittlung der Rsv erhält (kick-back-Innenprovision). Nun sollte man meinen, dass der Kreditnehmer, wenn er im Rahmen der Umschuldung die Rsv für den Erst-Kredit vorzeitig kündigt, zeitanteilig die Rsv-Prämie zurückerhält, da diese ja das Risiko für die gesamte ursprünglich vorgesehene Laufzeit des Erst-Vertrages abdecken sollte. Stattdessen tritt an die Stelle der Rückerstattung unverbrauchter Prämien nur ein sog. „Rückkaufswert“. Dabei handelt es sich um den um die volle Provision verminderten Restwert.

Das bedeutet: auch wenn der Kredit statt 72 Monaten vorgesehener Laufzeit nur 2 Monate gedauert hat und dann umgeschuldet wurde, erhält die Bank die volle Provision für den Abschluss der Rsv im Erstvertrag. Diese wird natürlich vom Kreditnehmer bezahlt und über den Umschuldungs-Folgekredit neu finanziert, so dass der Verlust nicht ins Auge fällt. Mit jeder erneuten Umschuldung und dem damit verbundenen erneuten Abschluss einer Rsv verdient die Bank eine neue kick-back-Provision.

Zudem werden die Rsv bei steigendem Lebensalter des Kreditnehmers wegen des höheren gesundheitlichen Risikos erheblich teurer, wobei die Verteuerung nicht linear sondern zwischen 40 und 45 Jahren sprunghaft zunimmt, was zwar versicherungsmathematisch nicht begründbar ist22 aber rein zufällig mit der Tatsache zusammenfällt, dass in diesem Lebensabschnitt die meisten Kredite aufgenommen werden – ein Schelm, wer böses dabei denkt.

Nicht außer Acht lassen darf man, dass durch die mit Hilfe der RSV aufgeblähten Nettokreditsummen in den Folgekrediten auch die Zinsbelastung erheblich ansteigt. Ebenso entstehen bei jeder Umschuldung neue Bearbeitungsgebühren, deren Anteil an der Gesamtfinanzierung innerhalb weniger Jahre bis zu 10 % erreichen kann23.

Auf diese Weise entstehen bei mehrfacher Umschuldung innerhalb weniger Jahre Kreditkonstruktionen mit einer Gesamtbelastung, die einem Effektivzins von über 30% entspricht24. Die Rechtsprechung hat bisher kein effektives Mittel gefunden, dieser „neuen Sittenwidrigkeit“25 von Ratenkrediten, die sich aus der Gesamtbetrachtung der entstehenden Kosten ergibt, zu begegnen.

Nur eine vollständige Miteinbeziehung der Kosten von Rsv, Bearbeitungsgebühren und Zinsen auch über mehrere Kettenkredite hinweg, kann der nach § 138 Abs.1 BGB gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise gerecht werden.

Zwischenergebnis:

Wir haben gesehen, dass die Praxis der Koppelung von Ratenkredit, Restschuldversicherung und Kettenumschuldungen in vielen Fällen zu einer Belastung der Kreditschuldner führt, die in einem auffälligen Missverhältnis zur Gegenleistung steht.

Wir haben auch gesehen, dass die Versuche der Rechtsprechung, der Kostentreiberei Einhalt zu gebieten, weitgehend im Sand verlaufen. Zu Komplex sind die Vorgänge im Einzelnen. Grundlegende Rechenfehler bei der Ermittlung des Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung in höchstrichterlichen Urteilen tun ein Übriges.

Gibt es also gar keine Möglichkeit, dem kleinen Häwelmann ein wenig Einhalt zu gebieten? Nicht ganz, wie wir gleich sehen werden.

Widerruf bei verbundenen Verträgen

Im Jahr 2011 erließ der BGH eine Entscheidung26, die vielen Verbrauchern helfen kann – wenn auch nur für ein gewisses Zeitfenster.

Wir kehren zur Veranschaulichung zurück zu unserem Beispiel mit Fritz Frohgemut, der – wie wir wissen – einen Kredit zusammen mit einer Rsv abgeschlossen hat.

Beide Verträge, Kredit wie RsV, sind typische Verbrauchergeschäfte. Beide können innerhalb einer Frist von 14 Tagen vom Kredit-/Versicherungsnehmer widerrufen werden27.

Diese Frist von 14 Tagen beginnt jedoch nur zu laufen, wenn der Kredit-/Versicherungsnehmer, ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht belehrt worden ist, § 8 Abs.2 Nr.2 VVG, § 355 Abs.2 BGB.

Sowohl die Kreditverträge als auch die Rsv-Vertragsmuster der Banken enthalten regelmäßig Widerrufsbelehrungen, die den oben benannten Vorschriften entsprechen.

Eine Besonderheit besteht jedoch bei sogenannten verbundenen Verträgen.

„Ein Vertrag über …die Erbringung einer….Leistung und ein Darlehensvertrag gemäß Absatz 1 oder 2 sind verbunden, wenn das Darlehen ganz oder teilweise der Finanzierung des anderen Vertrags dient und beide Verträge eine wirtschaftliche Einheit bilden“, § 358 Abs.3 BGB.
Bei solchen verbundenen Verträgen bewirkt der Widerruf des einen Vertrages automatisch auch den Widerruf des anderen Vertrages, § 358 Abs. 1 und 2 BGB.

Sind Verträge verbunden im Sinne von § 358 Abs.3 BGB, so ist der Verbraucher auf die Rechtsfolgen nach den Absätzen 1 und 2 (d.h. Widerruf eines Vertrages bewirkt auch Widerruf des anderen Vertrages) hinweisen. Dies bestimmt § 358 Abs.5 BGB.

Die Widerrufsbelehrungen in den Kredit- und Rsv-Verträgen enthielten aber bis Ende 2011 eben keine Belehrung über diese „ansteckende“ Widerrufswirkung, weil sowohl Banken als auch Versicherungen davon ausgingen, dass es sich bei Kredit und Rsv nicht um verbundene Verträge handelt.

Genau über diese Frage der Verbundenheit hatte der BGH zu entscheiden. Er hat sie mit ja beantwortet.

Nochmals zu den Voraussetzungen:

Ein Vertrag über …die Erbringung einer….Leistung und ein Darlehensvertrag …sind verbunden, wenn das Darlehen ganz oder teilweise der Finanzierung des anderen Vertrags dient und beide Verträge eine wirtschaftliche Einheit bilden.

Sicher wird man nicht sagen können, dass der Darlehensvertrag ganz dazu dient, den Versicherungsvertrag zu finanzieren. Denn die Rsv dient ja – zumindest auch – der Absicherung des Kredits. Wohl aber kann man davon sprechen, dass der Kredit in Höhe der für die Rsv inklusive verdeckter Abschlussprovision für die Bank aufzuwendenden Summe der Finanzierung der Rsv dient.

In unserem Beispiel mit Fritz Frohgemut also in Höhe von 3.537,80 EUR.

Komplizierter war die Frage zu beantworten, ob Darlehen und Rsv auch eine wirtschaftliche Einheit bilden.

Hier wird der BGH in seiner Begründung fast ein wenig philosophisch. Eine wirtschaftliche Einheit liege vor, wenn der eine Vertrag nicht ohne den anderen geschlossen worden wäre, die Verträge sich wechselseitig bedingen bzw. der eine seinen Sinn erst durch den anderen erhält28.

Indizien für das Vorliegen solcher „siamesischer Zwillinge“ sei die Zweckbindung des Darlehens zur Finanzierung eines bestimmten Geschäfts, durch die dem Darlehensnehmer die freie Verfügbarkeit über die Darlehensvaluta genommen wird, der zeitgleiche Abschluß beider Verträge, das Verwenden einheitlicher Formularemit konkreten wechselseitigen Hinweisen auf den jeweils anderen Vertrag, die Einschaltung derselben Vertriebsorganisation durch Darlehensgeber und Versicherung.

Der Teil der Darlehenssumme, die der Finanzierung der Rsv dient, ist der Verfügung des Darlehensnehmers entzogen (im Beispiel Fritz: 3.537,80 €) und dient dem Zweck der Versicherungsfinanzierung.

Im Darlehensvertrag wird der Versicherungsbeitrag selbständig neben dem Nettokredit ausgewiesen. In dem der BGH-Entscheidung zugrundeliegenden Vertrag über die Restschuldversicherung wird darauf hingewiesen, dass dieser Vertrag nur in Verbindung mit dem gleichzeitig bei der Beklagten aufgenommenen Kredit gilt und der Absicherung dieses Kredits dient. Damit wird die Wirksamkeit des Restschuldversicherungsvertrages ausdrücklich vom Zustandekommen des Darlehensvertrages abhängig gemacht. Die Versicherer werden ausdrücklich als „Partner“ der Beklagten bezeichnet. Die Firmen der Versicherer und die ähnliche drucktechnische Gestaltung der Formulare des Darlehens- und des Versicherungsvertrages legen eine geschäftsmäßige Verbundenheit der Bank und des Versicherers nahe.

Hinzu kommt, dass die Versicherer sich zum Vertrieb ihrer Versicherungen regelmäßig und auch im vorliegenden Fall bedienen.

Auch wenn sich diese Feststellungen des BGH nur auf die von ihm zu entscheidende Fallkonstellation beziehen, so dürften sie doch in vielen Fällen zutreffen, da die Vertriebsstrukturen der Banken und Versicherungen sehr ähnlich sind.

Was aber sind nun die Rechtsfolgen, wenn wir im Einzelfall zu dem Ergebnis kommen, dass verbundene Verträge vorliegen?

Bevor wir uns dieser Frage zuwenden, müssen wir uns darüber klar werden, dass die Banken und Versicherungen in Folge der BGH-Entscheidung im November 2011 natürlich so schnell wie möglich die Widerrufsbelehrungen in ihren Verträgen entsprechend angepasst haben.

Daher beziehen sich unsere Betrachtungen im wesentlichen auf Kredite, die vor 2012 abgeschlossen wurden und noch nicht die Belehrung hinsichtlich der verbundenen Verträge enthalten. Denn nur bei diesen Verträgen hat die Widerrufsfrist wegen Verletzung der Belehrungspflicht nicht zu laufen begonnen, so dass ein Widerruf auch nach Jahren noch möglich ist.

Nun also zu den Rechtsfolgen.

Hierüber ist lange gestritten worden, der BGH hat auch in dieser Frage einen verbindlichen Weg vorgegeben.

Danach hat der Kredit- und Versicherungsnehmer bei Widerruf entweder des Kredits oder der Rsv (was jeweils auch zum Widerruf des anderen Vertrages führt, s.o.) zwar den Nettokredit nebst Zinsen an die Bank zurückzuzahlen. Der Nettokreditbetrag ist jedoch um den Versicherungsbeitrag nebst Zinsen zu ermäßigen.

Für unser Beispiel mit Fritz Frohgemut bedeutet dies: Fritz muss im Fall des Widerrufs die 20.000 € Nettokredit zuzüglich 10,99 % effektiven Jahreszins zurückzahlen, also 23.392,40 € zuzüglich möglicher Bearbeitungsgebühren. Die Rsv und die mit dieser verbundenen Zinsen muss er in Folge des Widerrufs nicht zurückzahlen.

Zusammenfassung:

Die geltende Rechtsprechung zur Sittenwidrigkeit von Ratenkrediten geht von dem Grundsatz aus, dass Sittenwidrigkeit dann vorliegt, wenn der effektive Zinssatz den marktüblichen Zinssatz um mehr als 100 % überschreitet.

Die Gerichte tun sich jedoch schwer, griffige Kriterien für die Bestimmung der Sittenwidrigkeit zu entwickeln, wenn es um die Einbeziehung von Restschuldversicherungen geht. Aufgrund der Komplexität der Zusammenhänge geht leider schnell der Blick dafür verloren, dass der Sittenwidrigkeitsbegriff des § 138 BGB eine wirtschaftliche Betrachtung und damit eine Betrachtung der Gesamtkosten eines Kredites erfordert. Handwerkliche Mägel in Form von einfachen mathematischen Fehlern in den Urteilen begünstigen die Aufrechterhaltung eines Kreditmodells, das in der Summe die Kreditnehmer in sittenwidriger Weise belastet.
Hier ist nach Ansicht des Autors der Gesetzgeber gefragt, der derzeitigen Praxis einen Riegel vorzuschieben.

Die Möglichkeit des Widerrufs ist nur für Kredit-/RsVerträge gegeben, die vor 2012 abgeschlossen wurden, es handelt sich also um ein Fenster, das sich mit zunehmendem Zeitablauf und Abwicklung von Altverträgen wieder schließen wird.


1 Die deutsche Rechtsprechung hat früher bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit von Kreditverträgen den „Marktzins“ für marktübliche Kredite (Ratenkredite) als Schwerpunktzins zum Vergleich herangezogen, wie er sich aus den statistischen Ergebnissen der „Erhebung über Soll- und Habenzinsen“ der Deutschen Bundesbank (Bundesbank-Zinsstatistik) dargestellt hat.
2 Prof. Dr. Udo Reifner, „Die neue Sittenwidrigkeit von Ratenkrediten“, BAG-SB, Heft 2/2009, S.33, Fn.9
3 BGHZ 80, S.153 ff.
4 BGH a.a.O., S.16
5 BGHZ 110, S.338
6 So der  „Bund der Versicherten“
7 Dies ist keine humoristische Einlage, google beweist es
8 Berechnet mit Hilfe des Online-Kreditrechners der Turbo-Bank (Name von der Redaktion geändert)
9 BGH NjW 1990, 1048; 1989, 3217
10 Palandt-Ellenberger, 69. Aufl., 2010, § 138 Rz. 28; weitere Nachweise bei Reifner, a.a.O, Fn. 46
11 § 1 Preisangabengesetz
„Zum Zwecke der Unterrichtung und des Schutzes der Verbraucher und zur Förderung des Wettbewerbs sowie zur Durchführung von diesen Zwecken dienenden Rechtsakten der Organe der Europäischen Gemeinschaften wird das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zu bestimmen, daß und auf welche Art und Weise beim Anbieten von Waren oder Leistungen gegenüber Letztverbrauchern oder bei der Werbung für Waren oder Leistungen gegenüber Letztverbrauchern Preise und die Verkaufs- oder Leistungseinheiten sowie Gütebezeichnungen, auf die sich die Preise beziehen, anzugeben sind. Bei Leistungen der elektronischen Informations- und Kommunikationsdienste können auch Bestimmungen über die Angabe des Preisstandes fortlaufender Leistungen getroffen werden.“
12 BGH NjW 87, 944; 95,1152
13 herrschende Meinung: BGH NJW 1995, 1152, 1153; BGH NJW 1993 2108
14 Reifner a.a.O. S. 37, bei Fn.54
15 BGH NjW 1981, 1206 ff.
16 Reifner a.a.O., S.37 bei Fn.50
17 S. die umfangreichen Rechtsprechungsnachweise bei Reifner, a.a.O.
18 BGH NJW 1988, 1659
19 Reifner a.a.O., S.39 f.
20 A.a.O., Fn.74
21 Reifner, a.a.O. S.42
22 Reifner, a.a.O. S.44
23 Reifner, a.a.O., S45; Hier könnte dem Kreditnehmer aber ein Urteil des OLG Karlsruhe helfen, das Bearbeitungsgebühren in AGB unter bestimmten Voraussetzungen für unwirksam erklärt (Urteil vom 3. Mai 2011 · Az. 17 U 192/10; openjur.de/u/341172.html)
24 S. hierzu das Berechnungsbeispiel bei Reifner, a.a.O. S.44
25 Reifner a.a.O.
26 BGH Urt. Vom 18.11.2011, Az: XI ZR 356/09
27 Der Kredit nach §§ 495 Abs.1, 355 BGB, die RSV nach § 8 Versicherungsvertragsgesetz
28 BGH a.a.O. Rz.20

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