Manchmal bekommen Klient*innen für eine Insolvenzforderung nach Insolvenzeröffnung noch einen Mahnbescheid oder einen Vollstreckungsbescheid zugestellt. Dann stellt sich die Frage: Soll man auf diese reagieren? Die Antwort lautet leider: Ja, unbedingt.
Nun werden sich viele auch erfahrene Berater*innen fragen: Warum denn? Das sind doch eh Insolvenzforderungen. Die Insolvenzgläubiger*innen dürfen doch wegen § 89 InsO nicht vollstrecken. Auch ich war mir des Problems trotz vieler Jahre Berufserfahrung nicht bewusst. Aber so einfach ist es leider nicht.
Wenn das automatisierte Mahnverfahren einmal läuft, dann läuft es. Das Mahngericht prüft vor Erlass eines Mahnbescheides oder eines Vollstreckungsbescheides nicht, ob ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Selbst dann, wenn der Antrag auf Erlass eines Mahnbescheides oder eines Vollstreckungsbescheides erst nach Insolvenzeröffnung gestellt wurde, hat dies im Mahnverfahren keine Auswirkungen. Das Mahngericht reagiert nur auf die Antragsrücknahme der*des Gläubiger*in oder auf ein Rechtsmittel der*des Schuldner*in in Form eines Widerspruchs beim Mahnbescheid oder in Form eines Einspruchs beim Vollstreckungsbescheid. Begründet werden diese Rechtsmittel durch § 87 InsO: „Die Insolvenzgläubiger können ihre Forderungen nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen“.
Die wirksame Zustellung eines Mahnbescheides oder eines Vollstreckungsbescheides an die*den Schuldner*in ist nach der Rechtsprechung auch während des Insolvenzverfahrens möglich. Das Rechtsmittel kann deshalb nicht von dem*der Insolvenzverwalter*in eingelegt werden, sondern nur von der*dem Schuldner*in selbst!
Reagiert die*der Schuldner*in nicht, kommt das Problem ins Rollen und verursacht wesentlich mehr Arbeit als die Einlegung des Rechtsmittels. Wird bei einem Mahnbescheid das Rechtsmittel nicht eingelegt, hat man immerhin noch die Chance, beim Vollstreckungsbescheid einen Einspruch einzulegen. Versäumt man aber beim Vollstreckungsbescheid die Einspruchsfrist, so hat dieser grundsätzlich sowohl eine formelle und eine materielle Rechtskraft.
Die formelle Rechtskraft bedeutet: Der Vollstreckungsbescheid ist unanfechtbar. Er kann mit keinem Rechtsmittel mehr beseitigt werden. Er bleibt immer da.
Die materielle Rechtskraft stellt auf den Inhalt ab und bedeutet: der Vollstreckungsbescheid begründet für sich eine neue eigene Forderung. Und das bedeutet, sie würde vom Insolvenzverfahren nicht erfasst!
Die Rechtskraft ist im Zivilrecht ein hohes Gut. Sie dient dazu, Rechtsfrieden herzustellen. Deshalb ist eine Durchbrechung der materiellen Rechtskraft nur ausnahmsweise möglich. Beispielsweise dann, wenn der Vollstreckungsbescheid auf einem betrügerischen Verhalten beruht.
Wird aus einem solchen nach Insolvenzeröffnung rechtskräftigen Vollstreckungsbescheid, der ursprünglich auf einer vor Insolvenzeröffnung entstandenen Forderung beruht, die Zwangsvollstreckung betrieben, bleibt einem nur die Vollstreckungsabwehrklage gem. 767 ZPO. Ob das entscheidende Gericht dann eine Durchbrechung der materiellen Rechtskraft annimmt, weil die*der Gläubiger*in mit dem Betreiben des Mahnverfahrens die für sie*ihn geltenden insolvenzrechtlichen Regeln missachtet hat, ist nicht 100 Prozent sicher. Darauf sollte man es besser nicht ankommen lassen.
Deshalb: Weisen Sie Ihre Klient*innen bei der Insolvenzbesprechung darauf hin, dass diese bei einem Mahnbescheid oder Vollstreckungsbescheid nach Insolvenzeröffnung innerhalb der Frist immer das entsprechende Rechtsmittel einlegen sollen! Es sei denn, es handelt sich um eine echte Neuforderung, die erst nach Insolvenzeröffnung entstanden ist.