Birgit Knaus, Evangelischer Diakonieverband im Landkreis Böblingen
Neben Corona ist fehlender Wohnraum in den Ballungsgebieten derzeit eines der wichtigsten Themen in der Sozial- und Schuldnerberatung. Auch in der Politik und in der Öffentlichkeit ist das Thema angekommen. Doch wie können wir in der Beratung mit dem Thema Wohnen umgehen? Welche Zusammenhänge bestehen zwischen Wohnen und Schulden?
I. Schulden als Ursache für Wohnraumverlust
Verursachen Schulden den Verlust von Wohnraum? Es gibt viele Gründe und Ursachen für den Verlust des Wohnraums: Trennung, Scheidung, ordentliche Kündigungen durch Vermieter oder Vermieterin, Kündigungen wegen Eigenbedarfs, befristete Wohnverhältnisse, der Rauswurf aus der elterlichen Wohnung und vieles mehr.
Schulden können in zwei Formen direkte Ursache für den Verlust von Wohnraum sein.
1. Mietschulden bei einer Mietwohnung
Gerät die Zahlung der Miete in Verzug, so kann das Mietverhältnis gemäß § 543 II Nr. 3 BGB außerordentlich und fristlos gekündigt werden. Als Faustformel gilt: Zwei Monatsmieten im Verzug ermöglichen die fristlose Kündigung des Mietverhältnisses. Da die Mieten vor allem in Ballungsgebieten die letzten Jahre erheblich gestiegen sind und durch die Corona-Sonderregelungen Mietschulden aufgeschoben wurden, dürfte sich das Problem in den nächsten Jahren weiter verschärfen. Im Jahr 2020 ging es beim Deutschen Mieterbund in 5,7 % der Mietrechtsprozesse um fristlose Kündigungen und in 16,2 % der Fälle um Mieterhöhungen.
Gegen fristlose Kündigungen wegen Zahlungsverzug hilft folgendes:
- Es möglichst gar nicht so weit kommen lassen: Auch bei Zahlungsschwierigkeiten und Überschuldung sollte die Miete bevorzugt gezahlt werden. Die Sicherstellung von regelmäßigen Zahlungen kann ggf. durch die Einrichtung eines Pfändungsschutz-Kontos (P-Konto) auch bei Überschuldung abgesichert werden (zumindest dahingehend, dass unerwartete Kontopfändungen das verfügbare Einkommen nicht schmälern können).
Das rechtzeitige Eingreifen in dieser Stufe ist freilich davon abhängig, dass sich die Betroffenen gleich bei den ersten Mietzahlungsschwierigkeiten an eine Schuldnerberatung wenden! - „Schonfrist“ nutzen: Gem. § 569 III Nr. 2 BGB kann die fristlose Kündigung wegen Zahlungsverzuges geheilt und damit unwirksam werden, wenn die Rückstände spätestens zwei Monate nach Erhebung der Räumungsklage vollständig ausgeglichen sind. Dafür können ALG II-Berechtigte ein Darlehen beim Jobcenter beantragen (alle anderen beim Sozialamt!). Viele Betroffene kennen diese Möglichkeiten nicht, deshalb besteht hier hoher Beratungsbedarf. Statt eines Darlehens ist auch eine sog. Übernahmeverpflichtung möglich.
- Prüfen, ob Stiftungsmittel für die Übernahme der Mietrückstände beantragt werden können.
Sich gegen die Kündigung zu wehren oder Rettungsaktionen zu starten ist aber nur dann sinnvoll, wenn die monatliche Miete im Verhältnis zum Einkommen überhaupt tragbar ist und die Mietzahlung künftig störungsfrei erfolgen kann.
Leider werden fristlose Kündigungen wegen Zahlungsverzugs immer häufiger zusammen mit einer ordentlichen Kündigung ausgesprochen. Hier sollte mit Vermieter oder Vermieterin Kontakt aufgenommen werden, um zu klären, ob Bereitschaft besteht, die Kündigung zurückzunehmen, wenn die Rückstände ausgeglichen werden.
2. Rückständige Raten bei finanziertem Wohneigentum
Eine selbstbewohnte Immobilie scheint in der anhaltenden Niedrigzinsphase im Vergleich zu einem Mietverhältnis finanziell sehr attraktiv. Durch die steigenden Immobilienpreise und die immer geringer werdenden Eigenkapitalquoten steigt jedoch die durchschnittliche Höhe der Darlehenssumme von Jahr zu Jahr.
Können diese Darlehen wegen Krankheit, Arbeitslosigkeit oder anderen Faktoren nicht mehr bedient werden, gerät der Wohnraum schnell in Gefahr. Die meisten Darlehen können seitens der Bank gekündigt werden, wenn mindestens zwei Darlehensraten offen sind. Über den Weg der Zwangsvollstreckung kann die Bank die Immobilie verwerten.
Wurde ein Darlehen für Wohneigentum gekündigt, ist es in der Regel nahezu unmöglich, bei einer anderen Bank eine Alternativfinanzierung zu bekommen. Hier hilft nur, die Kündigung unter allen Umständen zu verhindern.
Möglichkeiten dazu sind:
- Mit der Bank verhandeln, ob zeitweise eine Tilgungsaussetzung / Ratenreduzierung eingeräumt werden kann.
- Prüfen, ob eine Untervermietung möglich ist
- Weitere Einnahmen generieren – evtl. Wohngeld beantragen?
- Umfinanzierungsmöglichkeiten prüfen mit dem Ziel, die monatliche Belastung zu senken. Zu klären ist dabei aber die Frage, ob und in welcher Höhe eine Vorfälligkeitsentschädigung anfällt.
- Wenn das alles nichts hilft: Besser freiwillig verkaufen.
II. Wohnraum als Ursache von Schulden
Die Mieten und die Immobilienpreise sind vor allem in den Ballungszentren extrem gestiegen. Die Einkommen leider nicht. Dies führt dazu, dass für die Wohnkosten ein immer größerer Anteil des Einkommens verwendet werden muss.
1. Miete
Als Faustformel galt lange Zeit, dass die Kaltmiete + Nebenkosten nicht mehr als 30 % des Nettoeinkommens ausmachen sollten. Im Beratungsalltag stellt die Schuldnerberatung oft fest, dass dieser Anteil bei Menschen mit geringem Einkommen eher bei 50 % oder darüber liegt. Besonders betroffen sind Alleinstehende. Typische Fälle: Rentnerinnen. Kleine kostengünstige Ein- bis Zwei-Zimmer- Mietwohnungen gibt es viel zu wenige. Die qm-Preise sind bei kleinen Wohnungen deutlich höher als bei größeren Wohnungen2.
Die ortsüblichen Vergleichsmieten sind durch die starke Nachfrage vor allem in den Ballungszentren in den letzten Jahren erheblich gestiegen. Steigerungen von 3,5 % oder noch mehr pro Jahr sind in den Großstädten seit vielen Jahren üblich.
Über die Modernisierungsumlage kann der Vermieter bis zu 8 % der Modernisierungskosten auf den Mieter umlegen. Diese Modernisierungsumlage ist zusätzlich zur Anpassung an die ortsübliche Vergleichsmiete möglich.
Können hohe und steigende Wohnkosten nicht durch Einsparungen bei den sonstigen fixen Kosten oder bei den variablen Kosten ausgeglichen werden, gerät der Haushaltsplan in Schieflage. Teilweise übersteigen die Ausgaben jeden Monat die Einnahmen. Die „Löcher“ werden zunächst über Dispokredite, Kreditkarten und Kleinkredite gestopft. So entsteht eine Abwärtsspirale in die Überschuldung.
Besonders schwierig bei der Beratung dieser Verschuldeten mit hohen Wohnkosten ist, dass eine dauerhafte Lösung der Überschuldungssituation oft nur durch kostengünstigeren Wohnraum geschaffen werden kann. Dieser ist aber gerade für verschuldete Menschen im angespannten Mietwohnungsmarkt praktisch nicht zu bekommen.
2. Selbstbewohnte Immobilien
Bei selbstbewohnten Immobilien lassen viele Banken Darlehensraten bis max. 40 % des Nettoeinkommens zu. Dabei bleiben jedoch die Nebenkosten („Hausgeld“) manchmal unberücksichtigt. Diese werden bei Eigentumswohnungen oder selbstbewohnten Häusern oft völlig unterschätzt. Rücklagen für Reparatur- und Renovierungskosten werden oft gar nicht gebildet. Der Anteil der Vollfinanzierungen hat deutlich zugenommen (lt. immoscout lag der Anteil 2018 bei 22 %)3, was die Darlehen teurer macht und längere Laufzeiten verursacht.
Bei selbstbewohnten Immobilien kann eine Insolvenz durch Verkauf des Wohneigentums aufgrund der gestiegenen Immobilienpreise verhindert werden.
Beim Verkauf sind aber bei langen Zinsfestschreibungen oft hohe Vorfälligkeits-entschädigungen zu zahlen. Durch die Ausübung des Sonderkündigungsrechts gemäß § 489 BGB zum Ablauf von 10 Jahren (Kündigungsfrist 6 Monate) können hier bei sehr langen Zinsbindungen erhebliche Kosten gespart werden.
III. Problemlösung durch Insolvenz?
1. Miete
Hilft bei Mietschulden vielleicht die Flucht in die Verbraucherinsolvenz? Leider nein. Wurde die Kündigung bereits vor Insolvenzeröffnung zugestellt, ist sie wirksam. D.h. das Insolvenzverfahren ändert nichts.
Sind vor Insolvenzeröffnung Mietschulden entstanden, die eine fristlose Kündigung rechtfertigen würden, und ist die Kündigung noch nicht zugestellt, so greift zunächst die Kündigungssperre des § 112 Nr. 1 InsO. Aber: Diese Kündigungssperre entfällt bereits mit der Enthaftungserklärung4 des Insolvenzverwalters5. Und spätestens mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens gilt sie ohnehin nicht mehr. Deshalb ist das Insolvenzverfahren bei Mietschulden keine Lösung.
2. Selbstbewohnte Immobilie
Grundsätzlich stellen Immobilien in der Insolvenz einen Vermögenswert dar, der verwertet werden muss. Nach § 165 InsO kann die Zwangsversteigerung betrieben werden. Übersteigt die Höhe der Forderungen, die durch Grundbucheintrag gesichert sind, den Wert der Immobilie, so kann die Immobilie aus der Insolvenzmasse freigeben werden. Sind die Ratsuchenden in der Lage, die Darlehensrate für die Immobilie weiterhin aus dem unpfändbaren Einkommen aufzubringen, besteht also die Möglichkeit, die Immobilie zu behalten.
Aber: Bei den derzeit ständig steigenden Immobilienpreisen ist es schwer abzuschätzen, ob der Wert der Immobilie niedriger ist als die Höhe der grundpfandrechtlich gesicherten Forderungen. Verschätzt man sich hier, ist die Immobilie weg.
War die Immobilie die Hauptursache für die Verschuldung, ist es ohnehin nicht sinnvoll, diesen Weg zu beschreiten. Da ist ein eigenhändiger Verkauf vorzuziehen.
IV. Schufa
Durch Schulden entstandene negative Schufa-Einträge erschweren die Suche nach einer Mietwohnung erheblich. Für den Kauf einer Immobilie sind sie meist von vornherein ein K.O.-Kriterium. Obwohl die Schufa keine staatliche Einrichtung ist, ist ihre Macht beim Thema Wohnen enorm.
1. Miete
Abschlüsse von Mietverhältnissen bei Wohnbaugesellschaften und in anderen gewerblichen Zusammenhängen (im Gegensatz zum „privaten“ Mietverhältnis zwischen natürlichen (Privat)Personen) sind in aller Regel vom Nachweis einer guten Bonität abhängig. Die Schufa bietet hierfür eine sog. Bonitätsauskunft mit einem entsprechenden Zertifikat an. Diese ist kostenpflichtig (derzeit 29,95 €), hat aber gegenüber dem kostenlosen Datenabgleich den Vorteil, dass nicht alle Daten offengelegt werden. Auf vielen Immobilienportalen kann man direkt einen Button „Schufa-Bonitätsauskunft“ finden.
Eine negative Schufa-Auskunft führt zur Ablehnung der betreffenden Interessenten. Das bedeutet, dass für verschuldete Menschen nur private Mietverhältnisse oder Sozialwohnungen in Frage kommen. Allerdings wird auch bei Mietverhältnissen zwischen natürlichen (Privat)Personen wird immer häufiger eine Schufa-Auskunft verlangt.
Obwohl Mietschulden meist nicht an die Schufa gemeldet werden und deshalb eine Schufa-Auskunft eigentlich nur wenig darüber aussagt, ob die Miete in der Vergangenheit pünktlich bezahlt wurde, hat eine negative Schufa-Auskunft eine extrem hohe Auswirkung bei der Suche nach einer Wohnung. Zusätzlich ist sie teuer. Evtl. kann der oder die frühere Vermieter*in die pünktliche Mietzahlung während des früheren Mietverhältnisses als „Gegengewicht“ bestätigen.
2. Selbstbewohnte Immobilie
Alle Banken prüfen bei einer Immobilienfinanzierung die Schufa. Negative Einträge führen oft zu Ablehnungen von Kreditanträgen. Deshalb sollte man vor dem Gespräch mit der Bank im Zweifel eine kostenlose Auskunft einholen, um zu wissen, was in der Schufa steht. Sind nur kleinere Forderungen die Ursache für die negativen Einträge, lassen manche Banken mit sich reden. Aber: Ein höheres Risiko führt immer zu einem höheren Vertragszins. Eine negative Schufa-Auskunft macht eine Baufinanzierung, wenn sie denn überhaupt zustande kommt, deutlich teurer.
Bei einer negativen Schufa-Auskunft wird außerdem häufig ein zweiter Darlehensnehmer oder ein Bürge verlangt.
Fazit: Insgesamt sind die Themen Wohnen und Schulden eng miteinander verwoben. Deshalb sollte die aktuelle und die gewünschte Wohnsituation im Rahmen einer Schuldnerberatung immer besprochen und berücksichtigt werden, auch wenn dafür zu wenig Raum oder Kapazität vorhanden zu sein scheint.
1 https://www.mieterbund.de/presse/pressemeldung-detailansicht/article/59611-deutscher-mieterbund-legt-beratungs-und-prozessstatistik-2020.
2 vgl. https://www.immowelt.de/immobilienpreise/stuttgart/mietspiegel
3 https://www.immobilienscout24.de/baufinanzierung/ratgeber/wie-finanzieren-andere.html
4 § 109 Abs.1 S.2 InsO
5 BGH mit Urteil vom 17.06.2015 – VIII ZR 19/14
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