15. Mai 2023

Daniela Hihn, Kreisdiakonieverband im Landkreis Esslingen

Viel wird in der Schuldnerberatung über die unzureichende Finanzierung der Beratungsstellen gesprochen und daraus resultierend lange Wartezeiten für die Ratsuchenden. Vom ersten Schritt, der Kontaktaufnahme mit einer Schuldnerberatungsstelle, bis zur Schuldenregulierung brauchen die Ratsuchenden einen langen Atem. Einen langen Atem, den viele nach Jahren in finanzieller und dadurch auch häufig psychischer Not nicht mehr haben.

Der Umgang der Schuldnerberatungsstellen mit den Wartezeiten ist unterschiedlich. Viele Stellen führen Wartelisten – die Wartezeit für die Ratsuchenden reicht von wenigen Wochen bis zu zwei Jahren und noch länger. Oft bietet man an den Stellen den Schuldner*innen einen schnelleren Zugang zu ersten Informationen in Form von offenen Sprechstunden oder einmaligen Terminen nach der Anmeldung an. Dies beinhaltet aber keine langfristige Beratung mit dem Ziel der Schuldenregulierung und damit auch keine langfristige Entlastung der Ratsuchenden. Einige Stellen führen keine Warteliste, ein direkter Zugang zur Beratung ist aber aufgrund der unzureichenden Personalsituation trotzdem nicht möglich. Hier muss die ratsuchende Person ständig „am Ball bleiben“ und sich durch regelmäßige Kontaktaufnahme einen Platz in der Beratung „erarbeiten“.

Die durchschnittlich langen Wartezeiten für eine Schuldnerberatung wirken sich stark auf die Ratsuchenden aus, die sich eine rasche Unterstützung bei der Lösung ihres Problems wünschen, diese aber meist nicht zeitnah erhalten. Die Wartezeiten wirken sich aber auch auf die Schuldnerberater*innen aus. An unseren Beratungsstellen bieten wir Soziale Schuldnerberatung mit allen dazugehörigen Facetten an. In der Sozialen Schuldnerberatung weiß man um die Lebenssituation der Ratsuchenden, da die psychosoziale Beratung die Grundlage des Hilfeprozesses ist. Ihren Druck schildern die Ratsuchenden in den offenen Sprechstunden aber auch in persönlichen Anschreiben an die Schuldnerberatungsstellen. Wenn eine ratsuchende Person den Mut und die Kraft findet mit der Bitte um Hilfe eine Beratungsstelle zu kontaktieren und die Beratungskraft ihm mitteilen muss, dass noch mehr als ein Jahr vergehen wird, bis er in die Beratung aufgenommen werden kann, macht das etwas mit beiden Menschen. Die Fähigkeit zur Empathie ist eine wichtige Voraussetzung für die Soziale Schuldnerberatung, die sich als Teil der Sozialen Arbeit begreift. Das bedeutet, es gibt seitens der Beratungskraft eine Vorstellung und ein Nachempfinden der Situation der Personen, die trotz Ihrer Not nicht zeitnah beraten werden können.

Daraus resultieren verschiedene Aspekte für die Beratungskräfte:

• Die langen Wartezeiten für eine Schuldnerberatung bedeuten von Beginn an ein Machtgefälle zwischen Beratungskraft und Ratsuchendem. Die Beratungskraft bietet eine knappe Ressource an, die in dieser Qualität und kostenfrei an anderer Stelle nicht zu bekommen ist. Das heißt, die Ratsuchenden haben in der Regel keine Wahl bezüglich der Beratungsstelle und des / der Schuldnerberater*in. Es ist wichtig, sich dieses Machtgefälle als Beratungskraft bewusst zu machen.

• Aus dem Wunsch des „schnellen Helfen-Wollens“ aber aufgrund mangelnder Kapazitäten nicht „Helfen-Könnens“ kann ein Überlastungsgefühl und der Eindruck mangelnder Wirksamkeit bei der Beratungskraft entstehen.

• Der Druck der Warteliste führt zu einer ständigen Abwägung, die man verkürzt so beschreiben kann: Bekommen durch meine Beratung mehr Personen eine schnelle Schuldenregulierung mit dem Risiko, dass sich in der Zukunft schnell wieder neue Schulden bilden (weil bspw. Einnahmen und Ausgaben nach wie vor im Ungleichgewicht sind und grundlegende Probleme beim Umgang mit Geld ungeregelt bleiben)? Oder berate ich eine kleinere Anzahl von Menschen nach allen erforderlichen Aspekten der Sozialen Schuldnerberatung und kann diesen Personen dadurch eine langfristige Perspektive für ein schuldenfreies Leben ermöglichen?

• Im Beratungsalltag der Sozialen Schuldnerberatung wird einige Zeit in die Information an den nachfragenden Ratsuchenden über die voraussichtliche Dauer der Wartezeit und darüber, wie sich diese sinnvoll überbrücken und aushalten lässt, verwandt. In akuten Fällen wird der Existenzsicherung (z.B. bei Mietschulden, drohende Stromsperre) und gegebenenfalls dem Pfändungsschutz (z.B. P-Konto-Bescheinigung) Vorrang gegeben, während die dauerhafte Schuldenregulierung weiter warten muss. Hierauf müssen zeitliche Kapazitäten verwendet werden, die an den laufenden Fällen abgehen.

• Das ständige Ungleichgewicht zwischen Beratungskapazitäten und der Zahl der Anfragen führt zu einem „Filtern“ in der Wartesituation. Die Beratungsstellen versuchen besonders dringende, stark existenzgefährdete Fälle schneller zu beraten. Beispielsweise werden Personen, die suizidal sind, an vielen Stellen direkt in die Beratung aufgenommen. Oder es gibt eine spezielle Beratung für bestimmte Zielgruppen, z.B. junge Menschen unter 25 Jahre, die über eine Jugendschuldnerberatung einen schnelleren Zugang zu Beratungsterminen bekommen. Hier sind die Beratungskräfte und die Beratungsstellen aufgrund des Mangels gezwungen, Urteile und Entscheidungen zu fällen zugunsten Einzelner oder bestimmter Gruppen, während andere Wartende das Nachsehen haben.

Lange Wartezeiten für die Ratsuchenden führen dazu, dass sich die Beratungskraft gegen diese Situation abgrenzen können muss, um nicht in eine dauerhafte Überlastungssituation zu geraten und die Motivation für diese wertvolle Arbeit zu verlieren. Eine bedarfsgerechte personelle und finanzielle Ausstattung der Schuldnerberatungsstellen würde die Situation von vielen in finanzielle Not geratene Menschen und deren Umfeld erleichtern und ihnen eine Perspektive ermöglichen. Und damit auch die Belastung der Beratungskräfte reduzieren.
Deshalb unterstützen wir an dieser Stelle ausdrücklich die Forderung nach einem Recht auf kostenlose und schnelle Soziale Schuldnerberatung für alle.

Literatur: