29. März 2023

Manuel Rombach, Caritasverband für den Landkreis Emmendingen e. V.

Gerade in der heutigen Zeit, in der sich die Menschen mit vielen persönlichen und gesellschaftlichen Krisen auseinandersetzen müssen und durch die Inflation das Leben teurer wird, sollten sich Überschuldete, bzw. von Überschuldung bedrohte Menschen, auf eine soziale Schuldnerberatung verlassen können.
Neben den bereits niedergeschriebenen Grundsätzen einer sozialen Schuldnerberatung, zum Beispiel von der AG SBV oder der BAG SB, führe ich nachfolgend die meines Erachtens wichtigsten Kriterien einer seriösen und sozialen Schuldnerberatung auf. Diese sind mit Sicherheit nicht abschließend und müssen auch nicht von allen als richtig/ korrekt angesehen werden. Die Stichpunkte resultieren aus meiner praktischen Erfahrung und langjähriger Beratungstätigkeit.


Folgende Rahmenbedingungen erachte ich für essenziell, damit Klient*innen vollumfänglich unterstützt werden können:

Kurzfristige Erstellung einer P-Konto Bescheinigung nach § 903 ZPO

Die Beratungsstellen sollten gewährleisten, dass P-Konto-Bescheinigungen innerhalb von 48 Stunden an die Ratsuchenden ausgestellt werden, sofern Gelder gesperrt sind, weil der Freibetrag noch nicht hochgesetzt wurde.
Immer wieder berichten Klient*innen, dass sie von Stelle zu Stelle geschickt werden und trotzdem keine richtigen Auskünfte erteilt bekommen. An diesem Punkt kann eine soziale Schuldnerberatung die*den Betroffenen eine unmittelbare Hilfestellung anbieten, indem sie, nach einer Überprüfung der Unterlagen, die notwendige Bescheinigung kurzfristig erstellt. Damit können Klienten*innen wieder über gesperrte Beträge auf ihrem Konto verfügen und mit diesen ihren Lebensunterhalt gewährleisten.
Um diese unbürokratische Hilfe jederzeit anbieten und durchführen zu können, sollte die Personalsituation in der Schuldnerberatung hinsichtlich Arbeitszeit- und Urlaubsplanung so gestaltet sein, dass sich die Kollegschaft gegenseitig vertreten können.

Existenzsichernde Maßnahmen sicherstellen

Neben der Erstellung einer P-Konto-Bescheinigung sollten bei Bedarf weitere Maßnahmen durchgeführt werden, um die Existenzsicherung zu gewährleisten und zum Beispiel eine Kündigung seitens der*des Vermieter*in und/ oder des Energieversorgers oder gar eine Ersatzfreiheitsstrafe zu vermeiden.
Gerade das letztgenannte Szenario ist derzeit Gegenstand politischer Auseinandersetzungen auf Bundesebene. Laut des statistischen Bundesamts verbüßten am Stichtag der Erhebung (30. Juni 2022) bundesweit 4.400 Personen eine Ersatzfreiheitsstrafe; dies entspricht ca. 10 Prozent aller verhängten Freiheitsstrafen in Deutschland im selben Monat. Die jeweilige Haftdauer einer Ersatzfreiheitsstrafe orientiert sich an der Anzahl der Tagessätze. Wer also beispielsweise zu 20 Tagessätzen verurteilt wurde und diese nicht zahlen kann, muss ersatzweise eine 20-tägige Haft antreten. Im Bundesjustizministerium wird derzeit zumindest darüber nachgedacht, die Dauer der Haft zu halbieren, während andere Akteur*innen die vollständige Abschaffung der Ersatzfreiheitstrafe verlangen, da diese primär sozial, respektive wirtschaftlich benachteiligte Menschen beträfe und daher ihrem Wesen nach einer Bestrafung von Armut gleichkäme.

Netzwerkarbeit: Interdisziplinäres und multiprofessionelles Arbeiten ermöglichen

Es sollte mit anderen sozialen Diensten ein Netzwerk aufgebaut werden, um Klient*innen ggf. bei komplexeren Problemlagen zielgerichtet und zeitnah weitervermitteln zu können. Exemplarisch seien an dieser Stelle das Integrationsmanagement, bzw. die Flüchtlingssozialarbeit genannt, wenn es bspw. darum geht, Ausweise und Aufenthaltstitel zu beantragen, zu verlängern oder Dolmetscher*innen zu organisieren.
Nicht alles kann und muss eine Schuldnerberatung machen. Sie sollte aber in der Lage sein, an entsprechende Fachstellen weiterzuvermitteln und grundsätzlich mit diesen in einem beständigen Austausch zu bleiben, um Rückmeldungen zu erhalten, die dazu beitragen, die eigenen Prozesse und Vorgehensweise zu evaluieren und ggf. anzupassen.

Eine zweite Chance hat jeder verdient

Jeder wird es vielleicht kennen. Eine Person erscheint nicht zum vereinbarten Beratungstermin oder es kommt aus irgendeinem Grund zu einem Kontaktabbruch.
Oftmals ist es aber so, dass diese Personen zu einem späteren, für sie richtigen Zeitpunkt, den Kontakt wieder aufnehmen. Hier sollten zwar die Gründe der Kontaktpause besprochen, die Beratung selbst aber ohne weitere Wartezeiten fortgesetzt werden.

Beratung, die über das „Offizielle“ hinausgeht

Es sollte überprüft werden, dass die Beratung in einem fortgeschrittenen Prozess zu Ende geführt wird, auch wenn sich die ratsuchende Person aufgrund eines Umzugs außerhalb des zuständigen Bezirks befindet. Ansonsten müsste die betroffene Person in dem neuen Bezirk bei einer neuen Schuldnerberatungsstelle anfragen und ggf. erst einmal mit einer Wartezeit von mehreren Monaten rechnen.
Darüber hinaus sollte man sich auch für Fragen zuständig fühlen, die zum Beispiel während eines Insolvenzverfahrens auftauchen können, auch wenn man nicht offiziell als Verfahrensbevollmächtigter hinterlegt ist und die Beratung mit Stellung des Insolvenzantrags formal abgeschlossen ist.


Einhergehend mit diesen Rahmenbedingungen erachte ich, neben den für die Schuldnerberatung erforderlichen rechtlichen Kenntnissen der 850 ZPO ff und InsO, folgende Anforderungen an die Berater*innen im Umgang mit Klient*innen für wichtig:

Ressourcen- und Lebensweltorientierung

Das Aufzeigen von Handlungsmöglichkeiten, Hoffnung geben sowie die Eigenmotivation der*des Klient*in stärken und sich dabei an seinen Ressourcen und der Lebenswelt orientieren. Dies kann schon dadurch geschehen, dass das Aufsuchen der Schuldnerberatung als wichtiger Schritt im Prozess der Entschuldung auch als solcher benannt wird. Damit wird den Klient*innen schon zu Beginn signalisiert, dass er sich auf dem richtigen Weg befindet.
Diese Haltung setzt unbedingten Respekt gegenüber den Ratsuchenden und den bisherigen Bemühungen, die Schuldensituation in den Griff zu bekommen, voraus, und sollte auch in wertschätzender Weise gezeigt und kommuniziert werden. Dazu gehört auch die Anerkennung des mit dieser schwierigen Situation einhergehenden Leids und die Auswirkungen auf die persönliche Lebensführung und die familiäre Situation.
Ein weiterer Baustein dieser positiven Zugewandtheit kann aber nicht nur auf persönlicher, respektive emotionaler, sondern auch auf einer rein sachlichen Ebene gesetzt werden. So kann einem sehr negativen Selbstbild der*des Klient*in die Arbeitsweise und der ihr zugrunde liegenden Strukturen von Inkassounternehmen erläutert werden, die ein konkretes betriebswirtschaftliches Interesse daran haben, dass eine Schuldenregulierung möglichst nach ihren Spielregeln erfolgt, um über entsprechende Gebühren das Maximum an wirtschaftlicher Verwertbarkeit von zahlreichen Einzelschicksalen zu erreichen.
Grundsätzlich kann auch auf das Wesen unserer Konsumgesellschaft und die damit einhergehende Rollenzuschreibung an die Konsument*innen hingewiesen werden, die sich verschulden sollen, um dieser Rolle gerecht zu werden. Es geht also auch darum, einer ggf. vorhandene Scham ob der eigenen Situation eine sachlich-nüchterne Einordnung entgegenzusetzen, die dabei hilft, die eigene Situation in einem gesamtgesellschaftlichen Kontext zu reflektieren. Dies muss in keinem Widerspruch zu einer positiven Bejahung der Eigenverantwortung und Selbstwirksamkeit stehen.

Dem Refinanzierungsdruck standhalten

Einem individualisierten Vorgehen, das die Besonderheiten des Einzelfalls berücksichtigt, ist einem rein schematischen und schnellem Vorgehen, welches zum Ziel hat, einen Fall schnell zum Abschluss und zur Abrechnung über die Fallpauschale zu bringen, der Vorzug zu geben. Individuelle Faktoren wie Familie, Gesundheit, Ausgrenzung und berufliche Schwierigkeiten sind für eine gelingende Schuldenregulierung zu berücksichtigen. Diese Belastungen müssen immer im Fokus der Beratung bleiben. Der Prozess der Beratung sollte immer einer beständigen Evaluation unterliegen, um ggf. Inhalte und Abläufe klient*innenenzentriert anzupassen.

Keine Schuldzuweisungen oder Moralisierungen

Gläubiger*innen haben oftmals in gleichem Ausmaß eine Verantwortung für eine Überschuldungssituation, wie die Klient*innen. Zudem zeigen die gegenwärtigen Krisen, dass in der Regel äußere Faktoren, über die die Ratsuchenden entweder keinen oder nur einen sehr geringfügigen Einfluss haben, eine Überschuldung forcieren können.
Daher setzt die Auseinandersetzung mit der individuellen Situation der Klient*innen ein hohes Maß an Empathie voraus, um mit den sichtbaren oder auch konkret geäußerten Anzeichen von Erschöpfung, Stress, irrationalem Handeln sowie Pessimismus adäquat umgehen zu können. Die zu tragende Last der Klienten muss erkannt und vor allem auch anerkannt werden.

Transparenz und Nachvollziehbarkeit

Die Arbeitsweise sollte transparent und für die Klient*innen nachvollziehbar sein. Es sollte eine klare und verständliche Sprache verwendet werden. Es ist eine Schlüsselkompetenz der*des Berater*in, komplexe Sachverhalte verständlich zu kommunizieren, auf Fachtermini weitestgehend zu verzichten oder diese zumindest in verständliche Sprache zu übersetzen. Zudem sollte die eigene Rolle klar definiert sein. Wir beraten und informieren nach den genannten Kriterien unter Berücksichtigung der eigenen Professionsethik. Die Entscheidungshoheit liegt jedoch stets und ausschließlich bei den Klient*innen.


Zu guter Letzt: Wir Mitarbeitenden einer Sozialberatung für Überschuldete halten diese Kriterien für selbstverständlich. Nichts davon ist jedoch direkt über die Fallpauschalen des Landes Baden-Württemberg refinanziert, die sich an reinen technischen Abläufen orientiert (Verhandlungen mit Gläubiger*innen erfolgreich oder erfolglos). Dadurch entsteht mit unter die chronische Mangelfinanzierung der Schuldnerberatungsstellen, wodurch die zum Teil unzumutbaren Wartezeiten für die Betroffenen entstehen.