24. April 2023

Stefan Freeman, Wolfgang Schrankenmüller

Amtsgericht Esslingen, 13 IN xxx/20, Beschluss vom 28.10.2021 – Leitsatz der Autoren:
Gem. § 290 Abs. 1 Nr. 7 InsO ist die Restschuldbefreiung zu versagen, wenn der Schuldner seine Erwerbsobliegenheit nach § 287b verletzt und dadurch die Befriedigung der Insolvenzgläubiger beeinträchtigt; dies gilt nicht, wenn den Schuldner kein Verschulden trifft oder wenn die Versagung der Restschuldbefreiung unverhältnismäßig oder rechtsmissbräuchlich wäre.

Im Verfahren am Amtsgericht Esslingen ging und im Beschluss geht es um die Erwerbsobliegenheiten im Insolvenzverfahren und die Verpflichtung der Schuldner eine Erwerbstätigkeit in Vollzeit auszuüben. Die besondere Obliegenheit im konkreten Fall: Ist der Schuldner aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage ganztägig zu arbeiten, ist er verpflichtet, wenn möglich, seine vollständige Arbeitsfähigkeit wiederherzustellen.

Am Beispiel einer Entscheidung des AG Esslingen vom 28.10.2021 möchten wir aufzeigen, dass es in entsprechenden Fällen sinnvoll sein kann, Schuldner argumentativ zu unterstützen, wenn eine Gläubigerin Antrag auf Versagung wegen Verletzung der Erwerbsobliegenheiten stellt.

So konnte in diesem Fall die Versagung der Restschuldbefreiung vermieden werden, wenn auch letztlich aus anderen Gründen als vom Schuldner vorgetragen – aber dadurch, dass sich das Gericht, nicht zuletzt aufgrund der mit Hilfe der Schuldnerberatung eingereichten Stellungnahmen des Schuldners, mit dem Einzelfall beschäftigt hat.

Das Insolvenzgericht hat den Antrag einer Gläubigerin auf Versagung der Restschuldbefreiung zurückgewiesen und kam zu dem Ergebnis, dass eine unwesentliche Beeinträchtigung der Befriedigungsaussichten eines Gläubigers nicht zu einer Versagung der Restschuldbefreiung führt. Diese wäre in solchen Fällen – so die zuständige Richterin – unverhältnismäßig und im konkreten Fall zudem rechtsmissbräuchlich.

I. Sachverhalt

Antrag der Gläubigerin auf Versagung der Restschuldbefreiung

Die Gläubigerin Finanzamt E. stellte einen Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung, den sie auf die Vorschrift des § 290 Abs.1 Nr. 7 InsO stützte. Zur Begründung führte das Finanzamt aus, dass der Schuldner seine Erwerbsobliegenheit verletzt hätte, indem er es unterließ, eine Vollzeittätigkeit anzunehmen bzw. seine Teilzeittätigkeit aufzustocken. Das Finanzamt errechnete bei unterstellter Vollzeittätigkeit und Berücksichtigung einer Unterhaltspflicht bis 30.06.2021 einen über einige Monate nicht erbrachten pfändbaren Betrag von monatlich 23,92 EUR.

Entgegnung des Schuldners

In verschiedenen Schriftsätzen, die mit Hilfe der Schuldnerberatung erstellt wurden, erwiderte der Schuldner, dass er bei Eröffnung des Verfahrens noch arbeitslos gewesen und daher froh gewesen sei, beim aktuellen Arbeitgeber eine Teilzeitanstellung zu bekommen. Eine im Verlauf der Beschäftigung vom Arbeitgeber angebotene Vollzeittätigkeit hätte er jedoch aufgrund eines schweren proktologischen Leidens bisher nicht antreten können. Ein OP-Termin sei inzwischen angesetzt. Nach seiner Genesung (weitere 2 Monate später) würde er dann Vollzeit in seiner jetzigen Tätigkeit arbeiten.

Unterstützung des Schuldners durch die Schuldnerberatung

Die Unterstützung des Schuldners durch die Schuldnerberatung bestand im Wesentlichen darin, ihn – ohne Handlungen in Vollmacht – zu unterstützen bei der Abfassung der Schreiben und Stellungnahmen (diese insbesondere sprachlich Unterstützung wurde offen in einem Schreiben an das Gericht erwähnt) zur Darstellung der besonderen Umstände, die im konkreten Fall gegen eine Versagung der Restschuldbefreiung wegen Verletzung der Erwerbsobliegenheit sprachen.

Insbesondere wurde dem Insolvenzgericht dargestellt:

  • Der Schuldner war/ist aufgrund gesundheitlichen Einschränkungen nicht in der Lage, in Vollzeit zu arbeiten.
  • Die psychische Verfassung des Schuldners, in diesem Fall massive Ängste vor der OP, ließen den Schuldner vorgesehene Termine für eine Operation absagen.
  • Der psychosoziale Kontext des Schuldners, der keine Berufsausbildung hatte, als Bauhelfer arbeitete und deutschsprachige Defizite hatte.

I. Entscheidung und Begründung der Entscheidung des Insolvenzgerichts

Der Antrag der Gläubigerin Finanzamt auf Versagung der Restschuldbefreiung gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 7 InsO wurde zurückgewiesen. Der zulässige Versagungsgrund wurde als unbegründet bestimmt.

Obliegenheit eine angemessene Erwerbstätigkeit auszuüben

In seiner Entscheidung arbeitete das Gericht die Kriterien einer angemessenen Erwerbstätigkeit heraus.
Nach Darstellung des Gerichts ist zum einen an die gegenwärtige Situation und den bisherigen Lebenszuschnitt des Schuldners anzuknüpfen. Verschiedene Merkmale seien hierbei zu berücksichtigen:

  • Die berufs- und ausbildungsbezogene Aspekte, wie die berufliche Ausbildung, die bisher ausgeübten beruflichen Tätigkeiten und die beruflichen Entwicklungschancen des Schuldners
  • Seine persönlichen Verhältnisse, wie beispielsweise sein Gesundheitszustand oder sein Lebensalter

Zum anderen bedeute eine angemessene Erwerbstätigkeit eine durch den Schuldner zu bewirkenden bestmögliche Befriedigung seiner Gläubiger. Dabei wird – stillschweigend – davon ausgegangen, dass im Grundsatz die angemessene Tätigkeit zur bestmöglichen Gläubigerbefriedigung führt.

Verpflichtung zur Erwerbstätigkeit in Vollzeit

Gläubigerbefriedigung bedeutet dem Gericht nach auch, dass der Schuldner regelmäßig Vollzeitbeschäftigung und grundsätzlich eine besser vergütete Tätigkeit aufnehmen muss.

Hinweis: Die Angemessenheit der Arbeit als solche war hier nicht im Streit. Ebenso wenig die Höhe der Vergütung an sich.

Verpflichtung zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit

Ist der Schuldner aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage, Vollzeit zu arbeiten, darf ihm das lt. Gericht nicht zum Nachteil gereichen. Allerdings ist der Schuldner verpflichtet, wenn möglich, seine vollständige Arbeitsfähigkeit wiederherzustellen. Es besteht eine Obliegenheit, die Arbeitsfähigkeit wiederherzustellen.

Verstoß gegen die Erwerbsobliegenheit

Das Gericht kam bei seiner Abwägung zum Ergebnis, dass der Schuldner trotz der vorgetragenen Gründe gegen seine Obliegenheiten verstoßen hat. Aus den vorgetragenen Gründen hätte sich ergeben, dass er sich erst nach Stellung des Versagungsantrags um einen OP-Termin bemüht hätte, obwohl das Leiden bereits seit längerem bestand und ihm vom Arbeitgeber auch zuvor eine Vollzeitstelle angeboten wurde.
Sowohl lag für das Gericht sowohl Kausalität als auch Verschulden vor. Mindestens hätte der Schuldner fahrlässig gehandelt, indem er sich nicht früher um einen OP-Termin bemüht hätte.

Unwesentliche Beeinträchtigung der Befriedigungsaussichten

Eine nur unwesentliche Beeinträchtigung der Befriedigungsaussichten führt dem Gericht nach allerdings nicht zu einer Versagung der Restschuldbefreiung.

Ob eine unerhebliche Beeinträchtigung anzunehmen ist, muss im Einzelfall geprüft werden unabhängig von der Schwere des Verstoßes, auf die es nicht ankommt. Zur Prüfung der Beeinträchtigung hat das Gericht das Verhältnis der Forderungshöhe zu dem eingetretenen Vermögensverlust in Beziehung gesetzt.
Den festgestellten Forderungen von über 76.000 EUR stand demnach ein rechnerisch nicht erbrachter pfändbarer Betrag von 239,20 EUR gegenüber, der im Übrigen auch erst auf die Verfahrenskosten zu verrechnen gewesen wäre.

Versagung der Restschuldbefreiung unverhältnismäßig und rechtsmissbräuchlich

Das AG Esslingen lehnte im vorliegenden Fall den Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung ab. Dem Gebot der Verhältnismäßigkeit folgend führte die unwesentliche Beeinträchtigung der Befriedigungsaussichten nicht zu einer Versagung der Restschuldbefreiung.

Darüberhinausgehend bemüht das AG Esslingen für seine Entscheidung in diesem Fall das Verbot des Rechtsmissbrauchs gemäß § 242 BGB und führte aus:

„Ein Rechtsmissbrauch liegt vor, wenn an geringfügige Fehler und Verstöße vergleichsweise weittragende Rechtsfolgen geknüpft werden. Die Möglichkeit der Berufung auf einen Verstoß gegen Treu und Glauben erlaubt es, übermäßige Härten zu vermeiden. Eine Versagung der Restschuldbefreiung stünde in keinem angemessenen Verhältnis zum begangenen Verstoß, wenn dieser betragsmäßig nur ganz geringe Nachteile ausgelöst hat.“

Diese Voraussetzungen hätten vorgelegen. Wie schon ausgeführt standen festgestellte Forderungen von über 76.000 EUR ein rechnerisch nicht erbrachter pfändbarer Betrag von 239,20 EUR gegenüber, der im Übrigen auch erst auf die Verfahrenskosten zu verrechnen gewesen wäre.

Das AG würdigte perspektiv auch das Verhalten des Schuldners: Er hätte nun Maßnahmen ergriffen, die seinen Obliegenheiten entsprechen würden, so dass für das restliche Insolvenzverfahren mit einer Erfüllung seiner Erwerbsobliegenheit zu rechnen sei.

Das AG kommt zu dem Schluss: „Zum jetzigen Zeitpunkt erscheint es daher rechtsmissbräuchlich dem Schuldner die Restschuldbefreiung zu versagen.“

Download: Beschluss des AG Esslingen