29. April 2024

Daniela Hihn, Kreisdiakonieverband im Landkreis Esslingen

Im vergangenen Jahr hatte die Landesarbeitsgemeinschaft der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege in Bayern die Problematik der statistisch ständig zunehmenden Überschuldungsursache „unwirtschaftliche Haushaltsführung“ beschrieben. Seit Jahren steigt die Bedeutung dieses Überschuldungsgrundes in der Destatis-Bundesstatistik von 11,6% in 2012 auf 15,3% in 2022.

Dieser Anstieg hängt auch damit zusammen, wie die statistisch erfassten Überschuldungsgründe des viel genutzten Schuldnerberatungsprogramms Cawin in die Bundesstatistik eingehen. Während man in Cawin unter anderem als Überschuldungsursachen zwischen Konsumverhalten, fehlender finanzieller Allgemeinbildung und unwirtschaftlicher Haushaltsführung wählen kann, fließen in der Bundesstatistik Destatis alle drei Ursachen unter dem Oberbegriff unwirtschaftliche Haushaltsführung zusammen.

Worauf die Landesarbeitsgemeinschaft zu Recht hinweist, ist hier insbesondere die Definition von unwirtschaftlicher Haushaltsführung durch Destatis problematisch, die die Verantwortung für die Überschuldung alleine beim Schuldner sieht: „Unter unwirtschaftlicher Haushaltsführung versteht man einen wiederholt übermäßigen, überflüssigen Konsum, der über die eigenen wirtschaftlichen Verhältnisse hinausgeht sowie auch eine mögliche fehlende finanzielle Allgemeinbildung. Eine unwirtschaftliche Haushaltsführung kann zudem durch das Abschließen unnötiger Verträge, Versicherungen usw. entstehen. Das Nichterkennen bzw. das Nichtbedenken von zu erbringenden Leistungen (Begleichen von Rechnungen zu bestimmten Fristen u. ä.) spielt hierbei eine wichtige Rolle. So werden z.B. für jährlich zu zahlende Rechnungen keine Rücklagen gebildet. Die Ausgaben stehen in einem Ungleichgewicht zu den Einnahmen. Der Auslöser der finanziellen Probleme liegt somit auf der Ausgabenseite der beratenen Person.“ (Statistisches Bundesamt, Fachserie 15, Reihe 5, S. 25)

Der Begriff unwirtschaftlich beinhaltet immer auch eine moralische Wertung des Verhaltens der Schuldner*innen. Unwirtschaftlich bedeutet, man hat sich wirtschaftlich falsch und damit schlecht verhalten. Unberücksichtigt bleibt in dieser Definition der Aspekt der sozialen Teilhabe in Verbindung mit finanziellen Dispositionen.

Anhand eines Fallbeispiels möchte ich die Wechselwirkung zwischen einer prekären Einkommenssituation, dem Bedürfnis der sozialen Teilhabe und in der Folge einer Ausgabe, die über die eigenen wirtschaftlichen Verhältnisse hinausgeht, darstellen. Und damit verbunden auch die subjektive Wahlmöglichkeit der Beratungskraft bei den Überschuldungsursachen.

An unserer Beratungsstelle war über einen längeren Zeitraum eine junge Frau zunächst in der Jugendschuldnerberatung, im Anschluss in der Beratung für über 25-jährige. Die junge Frau ist früh Mutter eines Kindes geworden, die Beziehung zum Vater hat nicht gehalten und sie ist alleinerziehend. Sie hat trotz der schwierigen Umstände die Ausbildung zur zahnmedizinischen Fachangestellten abgeschlossen und hat im Anschluss in Teilzeit in diesem Beruf gearbeitet. Da die Entlohnung in diesem Beruf niedrig ist, steht ihr und ihrem Kind langfristig nur ein geringes monatliches Einkommen zur Verfügung und es hakt finanziell an vielen Stellen. Zu einem Beratungstermin kam die junge Frau mit einer rückständigen Forderung der Musikschule für den Klavierunterricht ihres mittlerweile 6-jährigen Kindes. Da habe ich als Beraterin zunächst gestutzt, weil Musikunterricht auf diesem Instrument teuer ist und es sich im monatlichen Budget überhaupt nicht abbilden lässt. Die Frau hat mir erklärt, dass sie diesen Unterricht ihrem Sohn auf jeden Fall ermöglichen möchte, weil er sehr „zappelig“ sei und ihm das Spielen und Erlernen dieses Instruments guttue. (Des Weiteren gibt es dafür auch andere Gründe wie die positive Entwicklung des Gehirns sowie die gutbürgerliche Gemeinschaft in einer Musikschule.) Es handelt sich hierbei um eine Frage der Teilhabe.

Es gibt für mich als Beratungskraft mehrere Optionen, die ich in der Statistik als Hauptursache der Überschuldung angeben könnte. Auf den ersten Blick und nach der o.g. Definition von Destatis hat die Mutter den Haushalt unwirtschaftlich geführt, weil die Kosten für den Unterricht über die eigenen wirtschaftlichen Verhältnisse hinausgehen. Im konkreten Fall habe ich mich jedoch für Haushaltsgründung/Geburt eines Kindes, Trennung/Scheidung und längerfristiges Niedrigeinkommen entschieden. Denn diese Faktoren haben ursächlich zur finanziellen Situation der Frau geführt.

So lange in der Bundesstatistik von Destatis die unwirtschaftliche Haushaltsführung aus verschiedenen Überschuldungsgründen zusammengesetzt wird und dadurch statistisch ein so großes Gewicht erhält, schließen wir uns deshalb der Empfehlung der Landesarbeitsgemeinschaft der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege in Bayern an, in jedem Fall mit Vorsicht zu prüfen, ob einer der drei vorgenannten Gründe tatsächlich der Hauptauslöser der Überschuldung ist. Es kann zu kurz greifen, den Auslöser der finanziellen Probleme alleine auf das Ausgabenverhalten in Verbindung mit Soll und Haben der beratenen Person zu reduzieren.

Quellen:

DESTATIS: https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Einkommen-Konsum-Lebensbedingungen/Vermoegen-Schulden/Tabellen/ueberschuldung.html
https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Einkommen-Konsum-Lebensbedingungen/Vermoegen-Schulden/Publikationen/Downloads-Vermoegen-Schulden/ueberschuldung-2150500217004.pdf?__blob=publicationFile

Landesarbeitsgemeinschaft der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege in Bayern: https://www.lagoefw.de/fileadmin/user_upload/LAG_OEF_Empfehlung_UEberschuldungsstatistik_CAWIN_Nutzung.pdf