4. Dezember 2023

Daniela Hihn, Kreisdiakonieverband im Landkreis Esslingen

Am 19.11.2023 ist die EU-Verbraucherkreditrichtlinie 2023/2225 in Kraft getreten. Damit wurde die Vorgängerrichtlinie aus dem Jahr 2008 den neuen Marktgegebenheiten angepasst. (https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=OJ:L_202302225)
Die wesentlichen Veränderungen in Bezug auf den Verbraucherschutz sind darin:

  • Die Schutzregelungen für Verbraucher*innen bei der Kreditvergabe gelten künftig auch für Kleinkredite unter 200 Euro, Überziehungskredite, für „Buy now – pay later“-Produkte sowie für unentgeltliche Kredite.
  • Die Anforderungen zur Kreditwürdigkeitsprüfung durch die Kreditgeber*innen werden ausgeweitet.
  • Irreführende Werbung zur Kreditaufnahme wird verboten. Es muss klar hervorgehen, dass Kredite Geld kosten und die Kreditinformationen müssen zur verbesserten Vergleichbarkeit übersichtlicher dargestellt werden.
  • Die EU-Mitgliedsstaaten müssen sicherstellen, dass Schuldnerberatungsdienste für Verbraucher*innen mit finanziellen Schwierigkeiten zur Verfügung stehen. (s. auch https://www.bmuv.de/meldung/verbraucherkreditrichtlinie)

In diesem Beitrag möchte ich auf die möglichen Auswirkungen der Richtlinie für die Schuldnerberatung eingehen.

Die künftige Rolle der Schuldnerberatungsdienste in den EU-Mitgliedsstaaten wird in Artikel 36 der Richtlinie geregelt:
Schuldnerberatungsdienste
(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass den Verbrauchern, die Schwierigkeiten bei der Erfüllung ihrer finanziellen Verpflichtungen haben oder haben könnten, unabhängige Schuldnerberatungsdienste, für die nur begrenzte Entgelte zu entrichten sind, zur Verfügung gestellt werden.
(2) Zur Erfüllung der Verpflichtungen gemäß Absatz 1 verfügen die Kreditgeber über Verfahren und Strategien zur frühzeitigen Erkennung von Verbrauchern, die in finanzielle Schwierigkeiten geraten sind.
(3) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Kreditgeber Verbraucher, die Schwierigkeiten bei der Erfüllung ihrer finanziellen Verpflichtungen haben, an Schuldnerberatungsdienste verweisen, die für den Verbraucher leicht zugänglich sind.
(4) Die Kommission legt bis zum 20. November 2028 einen Bericht mit einem Überblick über die Verfügbarkeit von Schuldnerberatungsdiensten in allen Mitgliedstaaten vor, in dem bewährte Verfahren für die weitere Entwicklung dieser Dienste benannt werden. Die Mitgliedstaaten erstatten der Kommission bis zum 20. November 2026 und danach jährlich Bericht über die verfügbaren Schuldnerberatungsdienste.

Artikel 3 Nr. 22 bestimmt den Begriff Schuldnerberatungsdienste folgendermaßen:
„Schuldnerberatungsdienste“ die individuelle fachliche, rechtliche oder psychologische Unterstützung, die ein unabhängiger professioneller Akteur, bei dem es sich insbesondere nicht um einen Kreditgeber oder einen Kreditvermittler im Sinne der vorliegenden Richtlinie oder um Kreditkäufer oder Kreditdienstleister im Sinne von Artikel 3 Nummern 6 und 8 der Richtlinie (EU) 2021/2167 des Europäischen Parlaments und des Rates ( 27) handelt,einem Verbraucher leistet, der Schwierigkeiten bei der Erfüllung seiner finanziellen Verpflichtungen hat oder haben könnte.

Für die Schuldnerberatung hat Artikel 36 Abs. 1 eine durchschlagende Wirkung. Daraus ergibt sich erstmals ein Anspruch auf Schuldnerberatung für alle Verbraucher*innen in den EU-Mitgliedsstaaten, da diese zur Sicherstellung von Schuldnerberatung verpflichtet werden. In Absatz 1 ist auch bereits ein präventiver Ansatz zur Vermeidung von Überschuldung enthalten, da Schuldnerberatung auch für Verbraucherinnen, die potenziell in finanzielle Schwierigkeiten geraten könnten, zur Verfügung gestellt werden muss. Die Schuldnerberatungsdienste müssen unabhängig sein und dürfen für ihre Tätigkeit nur ein „begrenztes Entgelt“ entgegennehmen.
Absatz 3 des Artikels 36 verpflichtet Kreditgeber*innen bei finanziellen Schwierigkeiten ihrer Kund*innen, diese an „leicht zugängliche“ Schuldnerberatungsstellen zu verweisen. Durch diese Verpflichtung werden künftig Finanzdienstleistende unmittelbar mit Schuldnerberatungsdiensten verknüpft.

Aus Artikel 36 Abs. 1 lässt sich zwar ein Anspruch der Verbraucher*innen auf Schuldnerberatung ableiten, aber kein Anspruch auf Soziale Schuldnerberatung (s. dazu AGSBV, Konzept Soziale Schuldnerberatung https://www.agsbv.de/wp-content/uploads/2018/04/2018_04_03_Konzept-Soziale-Schuldnerberatung_AGSBV.pdf). Die gesetzliche Ausgestaltung ist noch völlig offen. Diese muss bis 20.11.2025 durch die Mitgliedstaaten abgeschlossen sein und wird ab dem 20.11.2026 in Kraft treten (geregelt in Artikel 48). Viele Fragen werden bis zur Verabschiedung in den deutschen Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu klären sein. Hierüber wurde auch beim Forum Schuldnerberatung des Deutschen Vereins und der AGSBV am 09. und 10.11.2023 in Berlin rege diskutiert.

  • Was bedeuten begrenzte Entgelte für die Schuldnerberatungsdienste und wie werden sich die gewerblichen Schuldnerberatungen positionieren?
  • Was bedeuten die Regelungen für die Soziale Schuldnerberatung und deren ganzheitlichen Ansatz? Zwar wird in der Begriffsbestimmung der Schuldnerberatungsdienste neben der fachlichen und rechtlichen Unterstützung auch eine psychologische Unterstützung erwähnt, doch handelt es sich hierbei um eine „oder“-Aufzählung.
  • Was bedeuten „leicht zugängliche“ Schuldnerberatungsdienste und inwiefern stehen diesem lange Wartezeiten, die es derzeit in vielen gemeinnützigen Schuldnerberatungsstellen gibt, entgegen?

Die häufige Erwähnung der Schuldnerberatungsdienste in der EU-Verbraucherkreditrichtlinie zeigt, dass man auf Ebene der EU deren wertvolle Arbeit erkannt hat. Ein Ausbau der kostenfreien Schuldnerberatung ist im Sinne der Verbraucher*innen und gesamtgesellschaftlich wichtig und wünschenswert. Viele der gemeinnützigen Sozialen Schuldnerberatungsstellen arbeiten jedoch schon lange an ihrem Limit und auch darüber, um die vielen Aufgaben einer sozialen und damit nachhaltigen Schuldnerberatung zu erfüllen. Hinzu kommt eine stetig steigende Zahl der Ratsuchenden mit häufig verbundenen langen Wartezeiten (s. auch Umfrage der AGSBV https://www.agsbv.de/2023/06/umfrage-zur-aktionswoche-schuldnerberatung-inflation-treibt-ueberschuldungsrisiko-und-nachfrage-nach-beratung-in-die-hoehe-2/ ) . Ohne eine massive finanzielle und damit einhergehend auch personelle Aufstockung der Stellen sind diese Aufgaben nicht zu bewältigen.