RA Kai Henning, Dortmund *)
Der Gläubiger, der sich auf eine deliktische Haftung wegen Verletzung eines Schutzgesetzes nach § 823 Abs. 2 BGB beruft, hat grundsätzlich alle Umstände darzulegen und zu beweisen, aus denen sich die Verwirklichung der einzelnen Tatbestandsmerkmale des Schutzgesetzes ergibt. Die Darlegungs- und Beweislast erstreckt sich auch auf den Vorsatz. Den in Anspruch genommenen Schuldner trifft lediglich eine sekundäre Darlegungslast.
BGH Urt. 3.5.16 -II ZR 311/14- ZInsO 2016, 1362
Anmerkung
Sachverhalt (zusammengefasst):
Die Klägerin macht einen Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten wegen des Nichtabführens von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung geltend. Die zur Abführung verpflichtete GmbH beschäftigte im Zeitraum von April bis September 2002 in erheblichem Umfang Arbeitnehmer, ohne die anfallenden Sozialversicherungsbeiträge an die Klägerin abzuführen. Am 15. März 2003 stellte sie ihren Geschäftsbetrieb nach vorangegangener Beschlagnahme ihrer Geschäftskonten ein. Am 10. April 2003 wurde die vorläufige Insolvenzverwaltung über das Vermögen der Gesellschaft angeordnet. Der Beklagte war seit Anfang September 2002 als Lagerarbeiter und Fahrer für die GmbH tätig. Er erwarb von dem Schwager seiner Ehefrau, der Mehrheitsgesellschafter blieb, einen zehnprozentigen Geschäftsanteil an der GmbH. Auf der Grundlage eines Gesellschafterbeschlusses vom 19. September 2002 wurde der Beklagte am 18. November 2002 anstelle des Schwagers als Geschäftsführer der GmbH im Handelsregister eingetragen. Am 28. Februar 2003 wurde er als Geschäftsführer wieder abberufen. Der Beklagte hat die Kenntnis seiner Bestellung bestritten und unter der Benennung von Zeugen vorgetragen, dass sein Schwager ihm versichert habe, er werde lediglich zu einem geringen Teil Gesellschafter, nicht jedoch außerdem Geschäftsführer. Die in Widerspruch hierzu erfolgte notarielle Beurkundung seiner Geschäftsführerbestellung habe er mangels ausreichender Deutschkenntnisse nicht wahrgenommen. Erst am 5. Februar 2003 habe er durch ein Schreiben erfahren, dass er zum Geschäftsführer bestellt worden sei.
Anmerkung
Diese umfangreiche Entscheidung des 9. Senats soll hier nur zu den Darlegungs- und Beweislasten hinsichtlich der Feststellung eines vorsätzlich unerlaubten Handelns des Schuldners betrachtet werden. Streiten Gläubiger und Schuldner über den Deliktscharakter einer Forderung, wird von Gläubigerseite häufig wenig zu den Vorgängen vorgetragen. Wer Waren bestellt und kein Geld gehabt habe, weil er bereits drei Monate vorher die Vermögensauskunft abgegeben habe, habe betrogen, so bspw. die einfache Argumentation. Oder wie in diesem Verfahren das Berufungsgericht feststellt: „Stehe aber – wie hier – die objektive Pflichtwidrigkeit des beanstandeten Verhaltens fest, indiziere dies im Allgemeinen den Schuldvorwurf.“
Dieser Feststellung tritt der BGH deutlich entgegen. Die Darlegungs- und Beweislast des Gläubigers erstreckt sich bei behauptetem vorsätzlich unerlaubtem Handeln gerade auch auf den Vorsatz. Hierzu muss also zumindest vorgetragen werden. Des Weiteren macht der BGH deutlich, dass die bestehende sekundäre Darlegungs- und Beweislast des Schuldners die ursprünglichen Beweislastregeln nicht aushebeln darf. Wenn also weit zurückliegende Ereignisse nicht mehr aufklärbar sind, geht dies zu Lasten des Gläubigers. Dem Schuldner darf die Aufklärungsarbeit nicht zugewiesen werden.
Leider kommt es viel zu häufig vor, dass Angehörige, Freunde und Bekannte oder auch völlig Unwissende als „Strohfrauen oder –männer“ ausgenutzt und wirtschaftlich ruiniert werden. Diese Entscheidung verdeutlicht, dass zumindest hinsichtlich des behaupteten vorsätzlichen Handelns der Betroffenen durchaus Verteidigungsmöglichkeiten bestehen.
Rechtsanwalt Kai Henning
Hamburger Str. 89, 44145 Dortmund
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